Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
sehen Sie mich so an?«
»Wie denn?«
»Als ob ich irgendwie … seltsam wäre.«
Lund zuckte die Schultern.
»Die meisten finden Politik langweilig. Sie dagegen denken anscheinend so gut wie nie an was anderes.«
»Stimmt genau. Wir brauchen eine Wende. Und ich möchte sie anführen. Das war schon immer meine Position. Ich bin wohl einfach so.«
»Und das Privatleben?«
»Das kommt an zweiter Stelle«, sagte er, leise und unsicher.
Ein prekärer Augenblick. Lund lächelte, aus Verlegenheit und weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
»Finden Sie das lustig?«, fragte Hartmann. »Warum? Immerhin hab ich Verabredungen mit halb Kopenhagen gehabt, oder? Jedenfalls scheinen Sie das zu denken.«
»Nur mit halb Kopenhagen?«
Das hätte er in den falschen Hals bekommen können. Doch er lächelte nur und schüttelte den Kopf.
»Sie sind eine sehr ungewöhnliche Kriminalkommissarin.«
»Nein, bin ich nicht. Wie haben Sie eigentlich Ihre Frau kennengelernt?«
Er zögerte.
»Auf dem Gymnasium. Wir waren in derselben Klasse. Anfangs konnten wir uns nicht ausstehen. Dann waren wir uns einig, dass wir nie zusammenziehen würden. Und unter gar keinen Umständen …«
Er hielt die linke Hand hoch, als wollte er etwas wegschieben.
»… wollten wir jemals heiraten.«
Ein kurzes Lachen.
»Aber manches hat man einfach nicht unter Kontrolle. Und wenn man sich noch so abstrampelt.«
Er schenkte sich nach. Es sah so aus, als könnte er die ganze Flasche austrinken.
»Das muss schwierig gewesen sein.«
»Ja, allerdings. Wenn ich nicht diesen Job gehabt hätte … ich weiß nicht …«
Er verstummte.
»Manchmal bricht das Leben auseinander. Man tut etwas Idiotisches. Etwas, das gar nicht zu einem passt. Noch nie zu einem gepasst hat. Und trotzdem …« Er hatte wieder den Wein in der Hand. »Und trotzdem ist es da.«
»Zum Beispiel, dass man sich in einer Kontaktbörse Faust nennt?«
»Genau.« Sein Handy klingelte. »Ich hätte mich besser Donald Duck nennen sollen. Entschuldigung.«
»Troels? Wo bist du?«
Es war Morten Weber.
»Zu Hause.«
»Sie wissen, dass dein Alibi getürkt ist.«
Hartmann lächelte Sarah Lund an. Stand auf, ging in die Diele.
»Was soll das heißen?«
Eine lange Pause, dann sagte Weber: »Rie kommt gerade aus dem Polizeipräsidium. Die haben sie unter Druck gesetzt.«
»Erzähl, Morten.«
»Sie haben rausgekriegt, dass sie versucht hat, dich anzurufen, als ihr angeblich zusammen wart.«
»Seit wann wissen sie das?«
»Schon länger. Sie haben Rie vor zwei Stunden einbestellt. Troels? Du darfst auf keinen Fall mit ihnen reden. Komm her. Wir lassen die Anwältin kommen. Wir müssen das genau durchdenken.«
Lund saß allein am Tisch. Der unvermeidliche schwarz-weiße Pullover. Ausnahmsweise hatte sie einmal Make-up aufgelegt und ihre Frisur gerichtet. Sie sah gut aus. Hatte sich vorbereitet.
Er kam sich vor wie ein Idiot.
»Troels?«
Hartmann wich in die Küche aus.
»Was sollen wir tun, Troels?«
Er drückte das Gespräch weg und steckte das Handy in sein Jackett.
»Wo waren wir stehengeblieben?«
»Sie haben von sich erzählt.«
»Stimmt.«
»Müssen Sie nicht los?«
»Noch nicht. Wir können noch ein Weilchen reden.«
Er schüttete den Wein hinunter. Bekleckerte sein blaues Hemd. Lund reichte ihm eine Serviette.
»Ich hab nachher eine Pressekonferenz. Fällt das auf?«
Sie lachte.
»Allerdings.«
»Dann werde ich besser mal … Entschuldigung.«
Er ließ sie allein und ging nach oben.
Allein .
Wie es sich angehört hatte, war er zwei Stockwerke hinaufgestiegen. Lund stand auf. Ging ins Arbeitszimmer. Fand das Tagebuch, das sie schon einmal kurz durchgesehen hatte. Blätterte weiter bis zum Ende des vorhergehenden Monats. Ein Eintrag: »Vermisse dich. Einsam. Kann nicht schlafen.«
Die folgenden Seiten waren leer. Dann kamen zwei, die mit hektischem Gekritzel bedeckt waren. Nichts Greifbares, nur zusammenhanglose Gedanken und Aufschreie. Ein gequälter Mensch, der sich selbst anschreit.
»Soll ich die Deckenbeleuchtung anmachen?«, fragte Hartmann eine Handbreit hinter ihrem Nacken.
Lund fuhr zusammen, murmelte etwas und drehte sich um. Er hatte noch das Hemd mit dem Rotweinfleck an. So ungeschickt war er nicht, das hätte sie wissen müssen. Sie sagte nichts.
»Was sollte das denn werden?«, fragte Hartmann mit ruhiger, kalter Stimme. »Wir trinken die ganze Nacht, werden Saufkumpane? Und dann? Lege ich ein Geständnis ab? War’s so gedacht?«
Seine
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