Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
hinunter.
»Ich fand’s schlimm, dass er mich so abserviert hat. Ich war zu Hause. Allein wieder mal. Ich habe schier durchgedreht.«
»Da sind Sie hierhergekommen, um ihn zu sehen. Wann genau, Nethe? Das ist wichtig.«
»Steht das nicht auf dem Strafzettel?«
»Ich möchte es von Ihnen hören.«
»Um kurz vor zwölf. In der Wohnung hat noch Licht gebrannt. Da hab ich geklingelt.«
Lund betrachtete die glänzende Klingelplatte aus Messing.
»Hat er aufgemacht?«
»Nein.« Es klang bitter. »Er hat sich nicht mal gemeldet. Da hab ich so lange auf die Klingel gedrückt, bis jemand den Hörer abgenommen hat.«
»Und dann haben Sie mit Hartmann gesprochen?«
»Ich hab mit niemandem gesprochen.« Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, wer’s war. Er hat kein Wort gesagt.«
»Sie haben nichts gehört?«
»Ich hab ihn gedrängt aufzumachen. Aber er hat einfach aufgelegt.«
Lund betrachtete das hohe Backsteingebäude.
»Sind Sie dann nach Hause gefahren?«
»Nein. Ich war so wütend auf ihn. Ich bin in den Hof und hab ihn gerufen.«
Sie gingen durch den Torbogen zurück und blieben im Innenhof stehen.
»Oben am Fenster stand jemand.«
Sie sah zu den Fenstern im vierten Stock hinauf.
»Aber das war er nicht.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Er war’s nicht! Er sah nicht aus wie Troels.«
»Wie konnten Sie das sehen? Es war doch dunkel.« Lund zeigte auf das Gebäude. »Und es ist hoch oben. Wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Sie wollen Troels unbedingt drankriegen, was?«
»Ich will die Wahrheit. Woher wussten Sie, dass er’s nicht war?«
»Er war kleiner. Troels ist sehr groß. Er hält sich gerade. Der Mann, den ich gesehen habe …«
Sie zuckte die Schultern und sah auf die Straße hinaus.
»Das war nicht Troels Hartmann.«
Lund schwieg.
»Er hat mich gesehen«, sagte Nethe Stjernfeldt. »Er hat mich direkt angeschaut. Es war nicht sehr angenehm. Da bin ich gegangen. Troels war nicht in der Wohnung. Also was sollte ich da noch?«
Pernille fuhr die Jungs nach Hause. Sie zankten sich hinten im Wagen. Bisher hatte ihr das nie etwas ausgemacht.
»Das ist meins«, sagte Anton. »Gib’s her! Hättest du eben dein eigenes mitgenommen.«
»Mama, sag ihm, er soll aufhören!«
Es herrschte dichter Verkehr. Und es regnete. Das Geschrei der Jungs füllte ihren Kopf aus, doch nicht so, dass es die dunklen Gedanken übertönt hätte.
»Du bist gemein.«
»Sag’s ihm, Mama! Ich hab den ganzen Tag noch nicht damit gespielt.«
»Könnt ihr euch nicht abwechseln?«
Die dummen Dinge, die Eltern sagten. Teilt, was ihr habt. Seid still. Seid brav und tut, was man euch sagt. Sagt uns, was ihr denkt, wohin ihr geht, was ihr macht.
Und mit wem.
»Mama! Sag’s ihm!«
»Halt die Klappe!«, rief Anton.
Oder Emil.
Wenn sie schrien, klangen ihre Stimmen genau gleich.
»Das ist meins! Nein, meins! Meins!«
Am Straßenrand tat sich eine Lücke auf. Sie riss das Steuer herum, wusste, dass die Jungs in ihren Kindersitzen durchgeschüttelt wurden. Trat auf die Bremse. Hörte die Reifen quietschen. Stieß gegen den Bordstein. Leute sprangen schimpfend zur Seite. Da verstummten die Jungs. Pernille saß reglos da, starrte auf die Menschen, die um den Wagen herumstanden. Nichts passiert. Nur ein kurzer, irrsinniger Schlenker im steten Strom des Verkehrs, der das Leben war.
»Mama?«, kam ein leises, ängstliches Stimmchen von hinten.
Sie betrachtete die Gesichter der beiden im Rückspiegel. War entsetzt über das, was sie getan hatte. Dass sie solche Angst in das unfertige, zerbrechliche Leben der beiden gebracht hatte.
»Emil kann damit spielen«, sagte Anton. »Wir können uns ja abwechseln.«
Sie weinte wieder. Die Tränen strömten über ihre Wangen, ließen alles verschwimmen. Es kam ihr vor, als könnte sie kaum das Lenkrad bewegen. Im Auto stank es nach Kindern, Benzin und Theis’ Zigaretten.
»Mama? Mama?«
Theis Birk Larsen machte Abendessen, als die Jungs hereinkamen.
»Ihr seid spät dran«, sagte er. »Was war los?«
»Ich hab die Jungs abgeholt. Das hab ich dir doch gesagt.«
»Ich weiß, aber so spät? Ich hab schon rumtelefoniert. Ich hab Lotte angerufen …«
»Ich hab’s dir doch gesagt.«
Er insistierte nicht weiter.
»Ich hab Spaghetti bolognese gemacht.«
Sie wirkte irgendwie seltsam.
»Ich hab den Journalisten angerufen, der heute Morgen hier war«, sagte sie.
Er hörte auf, in der Soße zu rühren.
»Ich treff mich mit ihm. Er wird gleich hier
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