Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Teppich. Keine Fotos. Keine Kleider. Nur das Bett mit der blanken Matratze darauf. Nichts auf dem Fensterbrett, nicht einmal eine Pflanze. Er blieb sitzen, mit dem Rücken zu ihr.
»Wo sind ihre Sachen?«, fragte sie mit kalter, heiserer Stimme.
»Anton hat drei Nächte hintereinander ins Bett gemacht. Emil sagt verrückte Sachen. Wenn du den Jungs zuhören würdest, dann würdest du’s verstehen.«
Sie kam an den Tisch zurück, fragte noch einmal: »Wo sind ihre Sachen?«
»Im Transporter. Ich lagere sie heute Abend in Valby ein. Wir behalten alles. Aber es muss nicht hierbleiben.«
Blitzschnell wollte sie nach dem Schlüssel auf dem Tisch greifen. Birk Larsen legte die Hand darauf.
»Gib ihn mir.«
»Nein. Wir können so nicht weitermachen. Wir sind in einer Sackgasse. Ich lasse das nicht zu.«
Im ersten Moment wollte er es nicht wahrhaben, doch aus ihrer Miene sprach nur eines: Hass.
»Du lässt es nicht zu?«
Sie lief zur Tür und die Treppe hinunter und war schon an dem Schlüsselbrett im Büro, als er sie einholte.
»Hör mir zur, Pernille.«
Sie wühlte in den Schlüsseln.
»Hör mir zu. Die Pfadfinder haben den Ausflug wegen diesem Mist im Fernsehen abgesagt. Kapierst du, was da los ist?«
Wortlos stürmte sie an ihm vorbei zu dem Transporter und riss an den Türen.
»Lass es an mir aus. Nicht an den Jungs. Das haben sie nicht verdient …«
»Los, mach auf!«
Birk Larsen zögerte.
»Sprich nicht so mit mir. Das hab ich nicht verdient.«
»Schließ auf!«
Er holte den Schlüssel hervor, drückte auf den Knopf. Sie riss die Hecktür auf. Alle Fotos und alle Möbel. Alles, was von Nannas Leben übrig war, starrte sie aus dem schmutzigen Laderaum eines roten Transporters an.
»Ich bringe alles in ein Lagerhaus. Nichts wird beschädigt. Nichts geht verloren.«
Sie kletterte hinein.
Birk Larsen rieb sich mit dem Handrücken die Augen.
»Pernille …«
Als Erstes nahm sie die Fotos an sich. Mit der anderen Hand griff sie nach der Nachttischlampe. Stieg wieder aus und sah ihn an.
»Ich bring das jetzt rauf. Dann hol ich die Jungs ab.«
»Pernille …«
»Bin ich nur noch irgendwer hier?«, fragte sie. »Jemand, mit dem man schläft? Ein Dienstmädchen, das dir die Wäsche macht und auf deine Kinder aufpasst? Mit dem man nicht redet? Das man nicht fragt, ob … ob …«
Die Worte fehlten ihnen. Diesmal beiden. Die vom Sozialdienst hatten ihnen gesagt, sie müssten über Nannas Tod hinwegkommen. Es schien ihm deshalb nur folgerichtig, ihr Zimmer auszuräumen. Er tat damit, was man von ihm verlangte, und seit seiner Heirat war er der Meinung, dass die anderen ihn so wollten. Als den neuen, gehorsamen Theis. Nicht den von früher.
»Wenn ich zurückkomme …«, sagte sie, aufs äußerste erregt, mit steinerner Miene.
Ein langer Augenblick. Ihm blieb das Herz stehen. Sie hatten sich noch nie so hemmungslos gestritten. Hatten manchmal überhaupt nicht viel miteinander geredet. Es war nicht nötig gewesen. Jetzt, in dieser Vorhölle, war alles anders. Unausgesprochene Gedanken brachen plötzlich hervor und wollten gehört werden.
»Wenn ich zurückkomme, will ich dich hier nicht mehr sehen«, sagte sie. Punktum.
Er stand da, still und steif wie eine Säule, rang mit seinen aufgewühlten Gedanken. Fragte sich, ob es überhaupt eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Andere Handlungsweisen. Eine andere Weggabelung. Sagen konnte er nur eins.
»Okay«, murmelte er und sah ihr nach.
Lund saß am Steuer ihres Wagens und hatte Brix im Ohr.
»Was zum Teufel machen Sie denn jetzt wieder?«
»Ich hab bei Olav zu Hause angerufen. Er ist nicht da. Ich hab die Adresse seiner Schwester.«
»Und warum suchen wir ihn?«
»Weil er was damit zu tun hat. Haben wir sein Handy schon geortet?«
»Nein, Lund. Ich habe die Fahndung abgeblasen.«
Sie nahm den Fuß vom Gaspedal, ließ den Wagen rollen.
»Warum denn?«
»Wir haben einen Zeugen, der Hartmann am Sonntagmorgen mit Blut an der Kleidung gesehen hat.«
»Seit dieser idiotischen Belohnung haben sich schon fünfzig Leute gemeldet, die alles Mögliche gesehen haben wollen.«
»Ich möchte, dass Sie sich auf diese Aussagen konzentrieren.«
»Wenn die was wissen, warum haben sie sich dann erst gemeldet, als die Belohnung ausgesetzt war? Christensen weiß, wer mit Nanna zusammen war.«
Ein langer Seufzer.
»Ich habe für so etwas wirklich keine Zeit. Sie haben Ihre Anweisungen.«
»Olav lässt sich dafür bezahlen, dass er irgendwem Zugang zu
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