Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
kontrollieren meine Gehaltsabrechnungen. Sie wollen wissen, wo das Geld herkommt. Du musst was unternehmen!«
Der Ordner lag noch auf dem Schreibtisch. Weber erkannte, dass er vielleicht hinauskonnte, ohne dass Christensen ihn sah.
»Scheiße!«, schrie Christensen. »Ich brauch Hilfe! Nein, nein. Entweder ich kann persönlich mit ihm sprechen, oder ich packe aus. Dafür lass ich mich nicht fertigmachen. Für den lass ich mich nicht fertigmachen.«
Morten Weber nahm den Ordner und blieb stehen. Olav Christensen drehte sich um, sah ihn, verstummte. Er steckte das Handy ein. Weber überlegte, ob er im gediegenen Ambiente des Rathauses schon einmal ein solches Bündel Angst gesehen hatte.
»Mit wem hast du da telefoniert?«
Christensen sah ihn entgeistert an.
»Olav. Wenn du was ausgefressen hast …«
Wie in Trance griff Christensen nach seinem Aktenkoffer.
»Wir können dir helfen«, sagte Weber. »Komm schon …«
Der Beamte kramte in seinem Büro herum, schloss Registraturschränke auf, nahm Schriftstücke heraus. Als er auf die Tür zuging, stellte Weber sich ihm in den Weg.
»Wenn du redest, kann ich was für dich tun.«
»Nein«, sagte Olav Christensen. »Das kannst du nicht.«
Lund stand wieder in Hartmanns Haus. Meyer, Svendsen und drei weitere Beamte durchsuchten es systematisch. Sie bekam einen Anruf aus der Zentrale wegen der Gehaltsabrechnungen.
»Irgendjemand im Rathaus muss wissen, wer die Zahlungen angeordnet hat«, sagte sie dem Beamten, der die Untersuchung leitete. »Sehen Sie sich Christensens Personalakte an. Checken Sie das Audit Trail. Das ist wichtig. Wer, wann und wie.«
Als sie aufgelegt hatte, schaute Svendsen aus der Küche herein und sagte leicht amüsiert: »Dieser Schwede, dein Exfreund, hat versucht, dich zu erreichen.«
Sie ignorierte ihn.
»Das Tagebuch ist interessant«, sagte Meyer.
Es war das, in das Lund kurz hineingeschaut hatte.
Meyer blätterte es durch.
»Er hat es seit dem Tod seiner Frau regelmäßig geführt. An dem bewussten Freitag hat er plötzlich damit aufgehört. Warum?«
»Was denkst du?«
Meyer feuchtete Daumen und Zeigefinger an und blätterte weiter.
»Irgendwas ist passiert, und er ist nicht stolz drauf. Oder er hat was getan, was er nicht aufschreiben wollte. Hör dir das an.«
Er las vor.
»›Ich bin außer mir. Ich muss damit aufhören, bevor es mich umbringt.‹«
»Das ist Zeitverschwendung«, sagte sie.
»Lund!«
Wieder Svendsen, das Telefon in der Hand.
»Nein«, ging Meyer dazwischen. »Sie will nicht mit ihrem Ex sprechen.«
»Du musst Morten Weber anrufen. Er hat Olav Christensen dabei erwischt, wie er am Telefon mit irgendwem über seine Gehaltsabrechnungen geredet hat. Dann ist er aus dem Rathaus weg.«
»Ich will, dass Olav Christensen festgenommen wird. Ich will eine Erklärung für diese Gehaltsabrechnungen.«
»Das ist jetzt Zeitverschwendung«, knurrte Meyer.
»Olav Christensen weiß, wer die Wohnung heimlich benutzt hat. Er hat irgendwem ab und zu einen Gefallen getan.«
Meyer verschränkte die Arme und seufzte.
»Sagt wer?«
»Morten Weber, so wie sich’s anhört. Lass Christensens Telefon überwachen.«
Sie nahm ihre Tasche und ging zur Tür.
»Das hat doch keinen Zweck hier.«
»Wir sind noch nicht fertig, Lund!«
Draußen war es kalt und trocken. Lund nahm ein Nicotinell und fuhr in die Innenstadt zurück.
Theis Birk Larsen saß in der Küche und tippte nervös mit dem Transporterschlüssel auf die Tischplatte. Er wartete darauf, dass ihre Schritte die Treppe heraufkamen. Er war noch in Arbeitskleidung. Er fühlte sich nicht wohl. Nicht eins mit sich selbst. Die Wohnung, ihr Zuhause, veränderte sich, und sie veränderten sich auch.
»Ich bin spät dran, tut mir leid«, sagte Pernille, als sie zur Tür hereinkam. »Hat jemand für mich angerufen?«
»Nein.«
Ihr Gesicht zeigte einen belebten Ausdruck, wie immer, wenn sie an Nanna dachte. Nur noch dann wirkte sie überhaupt lebendig. Das bedrückte ihn immer mehr.
»Gut, dass ich dort war. Die wollten eine falsche Schrift nehmen. Das hätte nicht gut ausgesehen.« Sie horchte. »Wo sind die Jungs?«
»Bei deinen Eltern.«
»Warum?«
Birk Larsen betrachtete die Gesichter auf der Tischplatte.
»Wir müssen darüber reden, Pernille. Wir müssen …«
Sie hörte nicht zu. Mit aufgerissenen Augen sah sie an ihm vorbei, zur offenen Tür von Nannas Zimmer. Sie ging darauf zu, ging hinein.
Kahle Wände, leere Schränke. Kein Schreibtisch, kein
Weitere Kostenlose Bücher