Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
hat gesagt, er kümmert sich darum. Er wollte mit Holck reden.«
»Wann war das genau?«
»Im Mai, Juni. Wenn der Oberbürgermeister sagt, er hat das im Griff, wieso sollte ich daran zweifeln? Sehen Sie mich nicht so an, Hartmann. Schließlich bin ich jetzt hier.«
Ein Geräusch an der Tür. Morten Weber kam eilig herein.
»Troels. Du kommst zu spät zu deiner Kastration. Die Pressekonferenz fängt gleich an. Bremer möchte sich vorher nochmal mit allen treffen.«
Er merkte, dass dicke Luft herrschte.
»Gert?«, sagte er. »Was zum Teufel machst du hier?«
Jan Meyer saß mit seiner Frau im Büro. Die Kinder. Drei Mädchen. Sieben, fünf und zwei. Sie hatten ihm zwei neue Polizeiautos mitgebracht. Schoben Sie mit viel Brumm-brumm auf dem Schreibtisch hin und her.
»Wollen wir essen gehen?«, fragte seine Frau.
Er hatte die Älteste auf dem Schoß.
»Eigentlich würde ich jetzt gern nach Hause fahren, wenn’s dir recht ist.«
»Gut. Dann fahren wir nach Hause.«
Mit der Donnerstimme eines Comic-Riesen fuhr er fort: »Wir haben doch was zu essen da? Ich hätte gern große Steaks und ganz viel Eis. Und Süßigkeiten und Cola. Und dann … noch mehr große Steaks!«
»Wir können uns ja eine Pizza holen …«
Eine Gestalt hinter der Glasscheibe. Lund, ernst und besorgt. Sie war an der Tür stehen geblieben.
»Moment«, sagte Meyer. »Ich muss kurz mit jemandem reden. Bin gleich wieder da.«
In den Flur hinaus.
»Was ist los?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie fasste sich an den Kopf. Er sah ihre Finger.
»Du blutest ja. Der Arzt hat gesagt, das muss genäht werden, wenn die Klammern nicht halten.«
»Wir müssen noch mal zu dem Kanal. Ich glaub, da ist noch mehr.«
»Lund …«
Die Kinder winkten ihm aus dem Büro zu. Machten Essbewegungen. Seine Frau schien enttäuscht.
»Ich sag’s dir unterwegs.«
»Nein. Sag’s mir jetzt.«
»Ich bin nicht verrückt, Meyer.«
Er antwortete nicht.
»Da ist noch mehr«, sagte sie. »Fahren wir?«
Lund fuhr, Meyer las in der Akte. Im Radio kamen Nachrichten. Holcks Tod. Eine Polizistin als Geisel. Brix’ Erklärung, der Fall Nanna Birk Larsen sei abgeschlossen. Gerüchte um einen Waffenstillstand im Rathaus; die Politiker zogen die Krallen ein und versuchten den Brand zu löschen, der plötzlich unter ihnen ausgebrochen war. Er sah sich das Foto von der Kette an. In Nannas Hand. Einundzwanzig Jahre davor an Mette Hauges Hals.
»Es ist dieselbe«, sagte Lund. »Meinst du nicht?«
»Sieht so aus. Und wie kommst du gerade auf dieses Mädchen?«
»Man hat ihr Fahrrad gefunden. Das steht ganz hinten in dem Bericht.«
Meyer blätterte ans Ende.
»Im Frieslandsvej?«
»Der führt durch das Kalvebod Fælled. Am Hauptkanal entlang. Über den Kanal rüber, und man ist im Pfingstwald. Das Rad lag knapp siebenhundert Meter von der Stelle entfernt, wo wir den Wagen rausgezogen haben.«
Es gab eine Karte der Naturschutzstiftung von der Gegend. Meyer studierte sie.
»Da queren lauter kleine Kanäle den großen, bis zur Küste. Man könnte halb Kopenhagen darin versenken und würde nie wieder jemanden finden.«
»Holck war zum Studium in Amerika, als Mette Hauge verschwunden ist.«
Sie gab ihm die Kopie eines Bachelor-Zeugnisses der University of California in Santa Cruz.
»Er ist das ganze Jahr über dortgeblieben. Er kann’s nicht gewesen sein.«
»Du hast nur die Kette, mehr nicht.«
»Und das Rad. Ich weiß, dass es derselbe Täter ist. Er muss es einfach sein.«
»Wir haben den Kanal doch gründlich abgesucht.«
»Er würde bestimmt nicht wieder an dieselbe Stelle gehen.«
Meyer schwenkte die Karte zu ihr hin.
»Das könnte Jahre dauern.«
Sie kamen am Bahnhof Vestamager vorbei, dem letzten an der U-Bahnstrecke. Dann führte die Straße geradeaus weiter, nach Süden, zum Öresund. Tief gelegenes, flaches Land. Nur die Silhouette des kahlen Waldes rechts.
»Wir brauchen nur Hilfe«, sagte Lund. »Keine Sorge.«
Eine Pumpstation. Zwei Beamte der Nachtschicht aus dem Präsidium. Sie folgten Lund und Meyer zu einer Tür, eine Treppe hinunter, in einen dunklen Raum mit ratternden Maschinen und Pumpen. Die Wasserwerke hatten einen Ingenieur geschickt. Er war Besucher gewohnt. Erzählte die Geschichte gern. Als die Deutschen Dänemark besetzten, war ihnen jeder Vorwand recht, um Einheimische abzutransportieren und in ein Konzentrationslager zu stecken. Die Kopenhagener Stadtverwaltung dachte sich Scheinprojekte aus, damit die Menschen bleiben konnten.
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