Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Landgewinnung war eines davon. Das hatte zwar keinen praktischen Nutzen, entzog aber Hunderte von Dänen eine Zeitlang dem Zugriff der Deutschen.
»Und jetzt«, übertönte der Mann den Lärm der Maschinen, »pumpen wir weiter. Achtzig Prozent des Geländes hier liegen unterhalb des Meeresspiegels. Würden wir’s nicht tun, würde sich der Öresund das Land zurückholen.«
Er hatte eine bessere Landkarte. Meyer studierte sie seufzend. Das Entwässerungsnetz war noch komplizierter, als er auf den ersten Blick gedacht hatte, es durchzog die ganze Gegend, wie ein Nervensystem aus Wasser auf einem planlosen Weg zum Meer.
»Da ist die Brücke, bei der wir Nanna gefunden haben.« Sie zeigte auf die Stelle. »Wo führt der Kanal hin?«
»Alle Kanäle leiten das Drainagewasser in die Aufbereitungsanlage. Dazu sind sie da.«
Lund fuhr mit dem Finger von der Stelle, an der Nanna gestorben war, zu dem Graben, in dem man Mette Hauges Rad gefunden hatte.
»Unmöglich, Lund«, knurrte Meyer. »Wo zum Teufel sollen wir denn da anfangen?«
Sie sah ihn irritiert an.
»Wir fangen damit an, dass wir denken wie er.« Sie zeigte wieder auf die Karte. »Was ist das?«, fragte sie den Ingenieur.
»Eine Drainageleitung, die zum alten Weg rausführt.«
»Zu welchem Weg?«
»Zum alten Weg«, wiederholte er, als müsste sie das doch wissen. »Wir haben ihn vor etwa zwanzig Jahren gesperrt. Wir haben ihn nicht mehr gebraucht, und sonst kam auch nie jemand hin.«
»Dann suchen wir dort.« Lund tippte auf die Karte. »Wir brauchen Taucher in allen Kanälen und Gräben, die den alten Weg kreuzen. Wir müssen mit Netzen ran und den gesamten Grund absuchen.«
»Hören Sie …« Der Ingenieur lachte nervös. »Das geht nicht. Wenn es sich herumspricht, dass Sie im Trinkwasser nach einer Leiche suchen, dann müssen wir alles schließen.«
»Das wird das Beste sein«, sagte Lund. »Sagen wir, für achtundvierzig Stunden.«
Sie wandte sich an die Männer von der Nachtschicht.
»Fordert mehr Leute an.«
»Moment mal! Wir liefern Wasser für hundertfünfzigtausend Haushalte. Für Krankenhäuser und Altenheime.«
»Wir machen, so schnell wir können.«
Eine hohe Gestalt erschien oben an der Eisentreppe. Langer Mantel, langes Gesicht. Brix kam mit dröhnenden Schritten herunter. Lund ging ihm entgegen.
»Mette Hauges Leiche ist nie gefunden worden«, sagte sie. »Ihr Fahrrad lag nicht weit von da, wo Nanna ertrunken ist. Die schwarze Halskette hat Mette gehört. Wir müssen die Kanäle absuchen. Es ist derselbe Täter.«
»Okay«, sagte Brix. »Holt die Taucher.«
Sie konnte kaum glauben, dass es so einfach war.
»Ich fordere ein paar F-16 von der Luftwaffe an und alarmiere die Nato. Sonst noch was? Kriegen wir ein U-Boot hier rein?«
»Hören Sie. Holck war damals gar nicht im Land.«
»Also hat er Mette Hauge nicht getötet. Na, so was! Aber er hat Nanna umgebracht. Das ist der Punkt. Ich hab die Notizen von Ihrem Freund gelesen. Das ist reine Theorie. Der Fall ist gelöst. Holck hatte eine Affäre mit Nanna. Seine Fingerabdrücke sind überall in der Wohnung.«
»Die können doch alt sein. Wohin hat Holck sie gebracht? Das wissen wir immer noch nicht. Jedenfalls nicht in den Wohnblock, in dem er gewohnt hat. Da ist nichts …«
»Sie fahren jetzt am besten nach Hause. Bringen Sie das mit Ihrem Freund in Ordnung. Und dann steigen Sie in einen Flieger nach Schweden. Bitte.«
Er setzte sich in Bewegung. Sie wurde wütend, ärgerte sich darüber.
»Das ist genau das, was Sie wollen, stimmt’s? Dass ich den Mund halte. Hat Bremer das auch verlangt? Ist das der Deal?«
Brix drehte sich zu ihr um.
»Ich bin ein geduldiger Mensch, das wissen Sie. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Merken Sie das denn nicht?«
»Wenn Sie das sagen, Brix!«
Er streckte die Hand aus.
»Ihren Dienstausweis bitte.«
Sie versuchte zu argumentieren. Er hörte nicht zu. Sie gab ihm den Ausweis.
»Und den Wagenschlüssel.«
Meyer hatte es gesehen und kam heran.
»Sie werden jede Hilfe brauchen, die Sie kriegen können, Lund. Zum Glück scheinen Sie nicht mehr in meinem Budget auf, und ich muss die Rechnung nicht zahlen.«
Er warf Meyer den Autoschlüssel zu.
»Canceln Sie alles, was sie angeordnet hat. Sie ist nicht mehr unser Problem.«
Meyer fuhr sie nach Hause, versuchte auf seine Weise, sie ein wenig zu trösten.
»Na, komm. Wir hätten für den Rest unserer Lebens hier herumsuchen können und doch nichts gefunden.«
Ihre Kopfwunde blutete
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