Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
mit der Außenwelt verband.
»Sagt Ihnen der Name Mette Hauge etwas?«, fragte Lund.
»Wie?«
»Mette Hauge. Sie hatte Sachen bei Ihnen eingelagert.«
»Aage hat alles verscherbelt, bevor er pleitegegangen ist. Auch Eigentum von anderen Leuten. Wär er nicht gestorben, würde er im Knast sitzen. Und alles bloß, damit er sich besaufen und mit dem Abschaum rumhängen konnte.«
»Sie haben also nichts behalten?«
»Schauen Sie sich um. Was Sie sehen, gehört uns. Niemand sonst.«
Aus dem Dunkel hinter ihnen kam eine Stimme, jünger, schwächer: »Wir haben noch Sachen in der Garage.«
Die dazugehörige Frau sah aus wie vierzig, war aber gekleidet wie ein Teenager aus einer anderen Zeit. Lange wollene Strickjacke, darunter ein buntes, zerschlissenes T-Shirt. Jeans. Ihr graumeliertes braunes Haar trug sie zu zwei Zöpfchen geflochten. Sie hatte die verängstigte und zugleich trotzige Miene eines Kindes.
»Geh in dein Zimmer«, befahl Edel Lonstrup.
»Was für Sachen?«, fragte Lund.
»Papas Sachen. Jede Menge.«
»Das sind bloß alte Schachteln«, schrie die Frau. »Geh wieder in dein Zimmer!«
»Wir müssen sie uns ansehen«, sagte Meyer. »Zeigen Sie sie uns.«
Schachteln mit Papieren, keine erkennbare Ordnung in der verstaubten Garage voller Gerümpel und Spinnweben. Einige Kisten trugen das Firmenlogo: das Wort »Merkur« in blauen Blockbuchstaben mit einem nach links abstehenden stilisierten Flügel. Lund sah uralte Computerausdrucke durch. Meyer kippte den Inhalt einer Schachtel auf den Boden.
»Wonach sollen wir eigentlich suchen?«
»Nach einem Mann.«
Er trat gegen eine Kiste. Noch mehr Papiere flogen umher, noch mehr Staub wurde aufgewirbelt.
»Nein«, sagte er. »Keiner da.«
Die Tochter blieb und sah zu.
»Wie alt waren Sie vor 21 Jahren?«, fragte Lund sie.
»17.«
»Wie waren die so? Die Leute, die bei Ihrem Vater angestellt waren?«
»Ruppig. Angsteinflößend. Groß. Stark.«
Sie nestelte an ihrer verschmutzten Strickjacke.
»Meine Mutter hat gesagt, ich soll mich von ihnen fernhalten. Die wären nicht so wie wir. Sie wären …«
Sie brach ab.
»Ja, was?«, hakte Meyer nach.
»Möbelpacker eben. Alle gleich.«
»Alle?«
Lund ließ von den Schachteln und Kisten ab und trat vor sie hin.
»Der Mann, nach dem wir suchen, war möglicherweise anders. Nicht viel älter als Sie. Zwanzig, fünfundzwanzig. Vielleicht hat er nur aushilfsweise hier gearbeitet.«
»Die kamen und gingen …«
Lund versuchte sich ein Bild zu machen. Wenn Bengt recht hatte, dann war der Mann diszipliniert, intelligent, beharrlich. Er lauerte nicht nächtens irgendwelchen Frauen auf. Er machte Jagd auf sie, umgarnte sie, bezauberte sie vielleicht sogar.
»Wahrscheinlich war er anders als die anderen. Vielleicht besser. Klüger.«
Sie schwieg.
»Er hat sich vermutlich gern mit Mädchen unterhalten. Hat respektvoller mit ihnen geredet als die anderen. Einfühlsamer.«
In Lunds Kopf entstand allmählich ein Bild.
»Er müsste ein netter Mann gewesen sein. Kein Grobian. Kein Fiesling. Neben den anderen richtig charmant. War einmal so einer dabei?«
Schweigen.
Lund zeigte ihr ein Foto von der Halskette mit dem schwarzen Herzen.
»Haben Sie die schon mal gesehen?«
Die Frau kam zum ersten Mal ans Licht. Sie war außergewöhnlich hübsch, fand Lund, aber durch irgendwas beschädigt. Die Isolation. Die Einsamkeit. Das Nichts.
»Lund, komm, fahren wir wieder«, sagte Meyer. »Kann ich mir irgendwo die Hände waschen?«
Die Tochter zeigte zur Tür. Wartete, bis er weg war. Sah Lund an. Als er außer Hörweite war, sagte sie: »Vielleicht war da einer.« Nervös wandte sie den Kopf, überzeugte sich, dass Meyer nicht mithörte. »Aber von mir haben Sie’s nicht, okay? Meine Mutter würde …«
»Das braucht niemand zu wissen.«
»Die wollen immer nur das eine. Männer.«
»War er so einer?«
»Nein. Die anderen mochten ihn nicht besonders. Die haben ständig auf den Putz gehauen. Getrunken. Geraucht. Keinen Finger gerührt. Er hat gearbeitet. Drauf geschaut, dass sie ihre Termine eingehalten haben. Das hat ihnen nicht gefallen.«
»Wie hat er ausgesehen?«, fragte Lund.
Sie zuckte die Schultern.
»Ganz normal. Er war auf einem Foto von meinem Vater mit drauf. Aber Mutter hat’s weggeworfen. Er sollte mal Chef werden, aber ich weiß nicht … Irgendwas ist passiert.«
»Was?«
»Wie gesagt, ich weiß es nicht. Den einen Tag war er noch da, den andern war er weg. Und ist nie mehr
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