Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
in die Stadt zurückgefahren, nachdem er mit Birk Larsen gesprochen hatte. Seitdem hatte ihn niemand mehr gesehen. Sie hatten es im Restaurant seines Vaters versucht. Auf dem Friedhof. Nichts. Während Meyer in Vesterbro durch die Straßen fuhr, klingelte sein Handy.
»Sein Mobiltelefon wurde von einem Mast bei Tårnby registriert. Nicht weit vom Flughafen. Vielleicht will er weg …«
Er wendete und fuhr Richtung Kastrup. Lund überlegte. Dachte an das Foto. Zwei kleine Kinder und ein rotes Christiania-Dreirad.
»Er will nicht zum Flughafen.«
»Sein Handy …«
»Ich weiß, wo er ist.«
Es herrschte wenig Verkehr. In einer knappen halben Stunde konnten sie dort sein. Meyer verstummte missmutig, als ihm klar wurde, wohin sie fuhren. Über die schmalen Wege, an Gräben und Kanälen entlang. Und an dem dunklen Wald, dessen kahle Bäume keinen Schutz boten. Die Schweinwerfer erfassten eine niedrige Eisenbrücke. In der Mitte ein Mann. Meyer griff nach seiner Pistole, dann fiel ihm ein, dass Brix sie noch hatte. Lund sah ihn strafend an, stieg aus, ging geradewegs auf den Mann am Kanal zu.
Amir saß am Rand der Brücke, blickte in das schwarze Wasser hinab, die Arme in das Geländer gehakt, die Füße baumelnd. Ein Blumenstrauß hinter ihm auf dem Boden. Wie ein Kind.
Von der anderen Seite kam mit blinkendem Blaulicht ein zweiter Streifenwagen. Zwei Männer stürzten heraus. Lund winkte sie zurück. Sie ging weiter.
»Amir El’ Namen?«
Sie bedeutete Meyer, seinen Ausweis vorzuzeigen, und beugte sich zu Amir hinunter.
»Wir sind von der Polizei. Keine Angst. Sie werden nicht verdächtigt.«
Er hielt den Blick unverwandt auf das Wasser gerichtet.
»Es gibt Zeugen, die Sie im Flughafen von Malmö gesehen haben.«
Sie trat vor, lehnte sich an das eiserne Geländer, wollte seine Augen hinter der dicken schwarzen Brille sehen.
»Ich muss nur eins wissen«, sagte sie. »Wer wusste davon? Wem hat Nanna davon erzählt?«
Endlich sah er sie an.
»Wer wusste davon, Amir?«
»Niemand. So dumm waren wir nicht.«
»Jemand muss es doch gewusst haben. Jemand, der Nanna im Auge hatte … oder der Sie beide zusammen gesehen hat. Ein Exfreund vielleicht. Denken Sie nach.«
Das tat er.
»Da war einer, der uns gesehen hat. Aber der konnte nichts wissen. Unmöglich.«
Lund rückte näher heran.
»Wer? Wer hat Sie gesehen?«
»Das war, als ich sie abgeholt hab. Wir wollten ihr Gepäck zum Bahnhof bringen. Er ist aus einem Auto ausgestiegen. So richtig hab ich ihn nicht gesehen. Ich weiß nicht, wer das war.«
Meyer seufzte.
»Was haben Sie denn gesehen?«, fragte er genervt.
»Eine rote Uniform. Aber er kann nichts gewusst haben.«
Meyer schüttelte den Kopf.
»Was meinen Sie mit einer roten Uniform?«
»Eine rote Uniform eben. Wie die sie tragen.«
»Wer?«, fragte Meyer.
»Seine Leute. Die Leute dort. Als Arbeitskleidung. Bei Birk Larsen.«
Eine halbe Stunde später traf Brix ein. Gab Lund wortlos ihren Ausweis zurück.
»Der Suchtrupp, den Sie angefordert haben, ist unterwegs. Ich erwarte, dass Sie was finden.«
»Was ist mit der Wasserversorgung?«, fragte Meyer.
»Die wird für 24 Stunden geschlossen. Länger nicht. Was hat der Inder gesagt?«
»Wir suchen einen Möbelpacker. Einen, der bei Birk Larsen arbeitet. Das ist das Bindeglied.«
Brix sah zu den ankommenden Wagen hinüber.
»Das Bindeglied?«
»Zu Mette Hauge.«
Sie schwieg einen Moment, versuchte die Dinge in ihrem eigenen Kopf zu ordnen.
»Sie war gerade von zu Hause ausgezogen, in die Stadt. Kurz danach ist sie verschwunden. Nanna hat in einer Umzugsfirma gewohnt. Also suchen wir einen Möbelpacker.«
Vagn Skærbæk sah die Aufträge durch, die Zeitpläne, die offenen Rechnungen. Sie machten Nachtarbeit, schwarz, um über die Runden zu kommen. Es war nicht einfach. Theis Birk Larsen kam von einer Fahrt zu den Docks zurück. Er hatte Geld aufgetrieben. Er wirkte erschöpft, aber so unbeschwert wie lange nicht mehr.
»Ich hol noch mehr Leute, Theis«, sagte Skærbæk. »Die viele Arbeit, die Anrufe. Wir kommen kaum nach.«
»Solange die Aufträge danach sind.«
Skærbæk nickte.
»Keine Sorge. Ich kann rechnen.«
»Gut.«
Es klingelte.
»Geh rauf, Theis. Du bist ja fix und fertig.«
Skærbæk sah ihm nach.
Der Mann war hager, etwa ihr Alter. Bleich. Sah krank aus.
»Warum kommst du jetzt erst?«
»Früher ging’s nicht. Ich hab Ärger mit meinem Boss. Er will, dass ich mehr Schichten fahre.«
»So. Aber Theis braucht dich
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