Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
aufgetaucht.«
Lund beobachtete sie.
»Haben Sie ihn vermisst?«
Fast vierzig, angezogen wie ein Teenager, das lange Haar schon mit grauen Strähnen durchsetzt. Ein verschwendetes Leben. Nichts.
»Also ich an Ihrer Stelle«, sagte Lund, »hätte nicht zugelassen, dass jemand das Bild wegwirft. Hätte es irgendwo versteckt, wo meine Mutter es nicht gefunden hätte. Dafür sind Fotos doch da, oder? Wegen der Erinnerung …«
Lund kam näher. Die Tochter roch genauso muffig wie die Garage und die angebauten Wohnräume. Nach Feuchtigkeit, Staub und Spinnweben.
»Das Foto wäre sehr wichtig für uns.«
Die langen dünnen Arme kamen aus den verschlissenen Ärmeln der Strickjacke und packten sie.
»Aber Sie dürfen nichts sagen.«
Die Tochter schaute durch die Fenster in die Küche. Es war niemand da. Dann ging sie in den hinteren Teil der Garage und schob vorsichtig alte Regale beiseite. Am Boden fand sie etwas. Durchsuchte es. Meyer war zurückgekommen. Er ging auf die Frau zu. Lund hielt ihn fest. Sie zeigte mit dem Daumen zur Tür und sagte: »Raus.«
Die Tochter fand das Bild so schnell, dass Lund sich fragte, ob sie es täglich ansah. Es war makellos, kein bisschen verstaubt. Ein gutes, scharfes Foto.
»Das ist mein Vater. Und das ist der Mann, von dem ich gesprochen hab.«
Lund musterte die Gesichter.
»Das war vor zwanzig Jahren«, sagte die Tochter. »Warum suchen Sie ihn? Was hat er getan?«
Lund antwortete nicht.
»Was Schlimmes kann’s nicht sein«, fuhr die Frau mit den ergrauenden Zöpfchen fort. »So einer war er nicht.«
Pernille saß am Küchentisch, sah sich das Video in Amirs Kamera an und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Theis saß neben ihr, die Hand auf ihre gelegt.
»Hatte Amir was damit zu tun?«, fragte sie, nachdem sie gesehen hatte, wie Nanna ihnen eine Kusshand zuwarf.
»Nein. Die Polizei sagt, er hat auf dem Flughafen Malmö auf sie gewartet.«
Sie trocknete sich mit den Ärmeln Augen und Wangen.
»Warum hat sie’s uns nicht gesagt? Warum hat sie ein Geheimnis daraus gemacht?«
Er schaute noch auf das eingefrorene letzte Bild von Amir und Nanna. Beide strahlten. Er brachte kein Wort heraus.
»Diese Lund war wieder da und hat nochmal all ihre Sachen durchsucht.«
Sie schüttelte den Kopf. Fühlte sich wieder leer und erledigt, genau wie vorher.
»Irgendwas stimmt da nicht, Theis.«
Er zog seine Hand weg.
»Fang nicht wieder damit an. Sie haben gesagt, der Fall ist abgeschlossen.«
»Warum ist Lund dann nochmal da gewesen?«
Keine Antwort.
»Sie haben ihn nicht gefunden«, sagte sie leise. »Das weißt du. Sie haben ihn nicht gefunden.«
Es klopfte. Leon Frevert stand in seiner roten Latzhose in der Tür, auf dem Kopf die schwarze Mütze.
»Was gibt’s?«, fragte Birk Larsen.
»Sorry, aber … Vagn braucht dich unten.«
»Jetzt nicht.«
Der große schlanke Mann schien Angst zu haben, rührte sich aber nicht von der Stelle.
»Ich glaube, du musst kommen, Theis. Bitte.«
»Na gut«, brummte Theis.
Die Männer waren alle da, die Festangestellten, die Aushilfen, von denen er manche kaum kannte. In ihren roten Latzhosen hatten sie sich im Büro aufgestellt. Sie unterhielten sich, lächelten nicht, sahen ihn nicht an, als er hereinkam. Vagn Skærbæk stand mit verschränkten Armen in der vorderen Reihe, redete und nickte. Der Anführer, wie immer. Sie hatten manchmal Auseinandersetzungen. Der eine oder andere ging im Zorn. Und nicht alle kamen wieder. Geschäft, dachte Birk Larsen. So war das nun mal. Sein Geschäft.
Er ging hinein und fragte: »Was gibt’s denn so Wichtiges? Macht eure Arbeit oder fahrt heim, okay?«
Skærbæk drehte sich zu ihm um. Er wirkte betreten, sah auf den Boden.
»Theis …«
»Jetzt nicht.«
»Doch, es muss sein, Theis. Wir haben ein Problem.«
Skærbæk sah ihm endlich in die Augen. Die Silberkette glitzerte. Sein Gesicht war ernst, resigniert.
»Was ist denn los?«
»Dein Haus in Humleby. Versteh uns nicht falsch. Wir freuen uns, dass das klappt. Ehrlich. Aber …«
Er runzelte die Stirn.
»Das hält uns auf. Wir kommen her, um für Kunden zu arbeiten. Stattdessen müssen wir immer wieder Ziegel und Holz und den ganzen Mist nach Humleby schaffen, das kostet Zeit. So kann’s nicht weitergehen …«
Birk Larsen schloss die Augen und suchte nach Worten.
»Also, Theis, das Haus wird bis Weihnachten nicht fertig, wenn wir so weitermachen. Deshalb haben wir einen Beschluss gefasst. Tut mir leid. Aber es ist endgültig
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