Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
einiges zu hören.
»Ich sag doch. Die ist nicht ganz richtig im Kopf. Ich kann sie nicht allein lassen.« Er hörte sich die Liste der Beschwerden an. »Ich kann sie nicht sich selbst überlassen! Du weißt, warum.«
Weiber , dachte er nach dem halbherzigen, leicht vergrätzten Abschied. Er schaute an dem Gebäude hoch. Es war nicht so heruntergekommen, wie er gedacht hatte. Die Fassade war über und über mit Graffiti beschmiert. Dem Geruch nach waren nicht alle so rücksichtsvoll, ins Wasser statt an die Mauern zu pinkeln. Aber es gab gedämpfte Sicherheitsbeleuchtung in jedem Stockwerk und gute, stabile Türen. Keine Überwachungskameras außen. Abgesehen davon … Er nahm die Taschenlampe aus der Anoraktasche und beleuchtete die graue Betonfassade in ihrer ganzen Länge. Auf der rechten Seite glitzerte etwas. Er ging hinüber und trat auf Glasscherben. Schaute hinunter. Frisch. Leuchtete in das Fenster darüber. Eingeschlagen. Eine große Abfalltonne war dicht an die Wand geschoben. Damit konnte jemand einsteigen. Er ging rasch zurück und richtete die Lampe auf die oberen Stockwerke.
»Shit.«
Lund ging weiter bis zur Tür 555. Dieselbe Spannplatte. Dieselbe Schließvorrichtung. Riegel mit Vorhängeschloss. Sie stand halboffen. Sie hatte keine Handschuhe dabei. Deshalb zog sie ihren Ärmel so weit herunter, dass die Wolle ihre Finger bedeckte, und drückte dann langsam die Tür auf. Der Raum dahinter war halbleer. Nur am hinteren Ende waren Sachen gestapelt. Pappkartons wie die in Birk Larsens Garage. Nur hier mit weißem Klebeband und blauer Beschriftung. Der Name Merkur mit dem nach links abstehenden Flügel. Dasselbe Band, mit dem Mette Hauge verschnürt worden war. Das meiste sah nach altem Krempel aus. Ihr Handy klingelte. Sie schaute auf das Display.
»Ich hab gesagt, eine Minute, Meyer. Eine von meinen Minuten. Okay?«
»Hier unten ist ein eingeschlagenes Fenster. Irgendjemand war hier.«
»Klingt plausibel. Die Tür von dem Hauge-Bereich war aufgebrochen.«
»In welchem Stock bist du?«
»Im sechsten. Ganz oben.«
Stille. Dann sagte Meyer: »Okay. Ich seh jetzt deine Taschenlampe. Du stehst am Fenster.«
Lund steckte die Hände in die Taschen und überlegte.
»Was für ein Fenster. Ich hab keine Taschenlampe.«
Wieder Stille.
»Bleib, wo du bist, Lund. Du bist nicht allein. Ich komm rein.«
Sie ging in die Ecke des kalten, trockenen Raums. Stand im Dunkeln. Stellte ihr Handy auf Vibrationsalarm. Jemand war draußen auf dem Gang. Sie hörte Schritte. Hin und her. Suchend. In einer Schachtel neben ihr glitzerte etwas. Sie schaute hin. Ein schwerer metallener Kerzenleuchter. Sie nahm ihn heraus und ging wieder auf den Gang hinaus, schaute in dem wächsernen Sicherheitslicht nach rechts und nach links, ging weiter, sah nichts außer Beton, Spanplatten und Staub.
Jan Meyer rannte zu Lunds Wagen zurück, verfluchte Brix dafür, dass er ihm die Waffe abgenommen hatte. Fand die Glock zwischen Nicotinell-Päckchen und Papiertaschentüchern. Volles Magazin. Kaugummi auf dem Griff. Er legte sie aufs Wagendach, stöpselte sein Headset ein und rief sie wieder an.
»Lund, bist du da?«
»Ja«, sagte sie leise.
»Gut. Ich bin unterwegs.«
Er kletterte durch das eingeschlagene Fenster, ließ sich drinnen vorsichtig herab. Türen aus gelber Spanplatte. Betonboden. Nichts. Er drückte die Anruftaste.
»Lund? Hörst du mich? Hallo?«
Keine Antwort.
»Lund!«
Ein Geräusch. Ein zögerndes, mechanisches Brummen. Über Räder laufende Kabel. Eine Stimme an seinem Ohr.
»Scheiße!«
»Lund!«
»Meyer. Er ist im Aufzug und kommt runter. Ich bin auf der Treppe. Der Aufzug!«
Er hörte sich an wie ein verrostetes metallenes Tier, das aus einem langen Schlaf erwacht. Meyer lief den Gang entlang. Fand die Stelle. Knöpfe in der Wand. Falttür aus Metall. Dahinter auf- und absteigende Kabel. Zog die Glock. Lehnte sich an die Wand.
»Ich bin am Aufzug«, sagte er.
Er hörte Schritte auf der Treppe. Schnell. Hektisch. Übertönt vom Quietschen des von oben kommenden Blechkastens. Ein Licht. Ein Scheppern. Der Lift blieb neben ihm stehen. Pistole im Anschlag. Darauf warten, dass die Tür aufgeht. Nichts. Warten. Nichts.
Er ging um die Ecke und zielte mit der Pistole geradeaus. Nichts außer einer leeren Kabine mit einer nackten Glühbirne in der Decke. Meyer schaute sich um, sah nur leeren Raum. Verwirrt.
»Der Aufzug ist leer«, sagte er.
Schritte von jemandem, der die Treppe herunterrannte.
»Ich
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