Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Rand eines Abgrunds, glaub mir. Man wartet nicht, bis man runterstürzt …«
»Gut, gut. Dann mach das. Aber zuerst müssen wir die Polizei informieren.«
»Was ist mit Eller und der Partei?«
»Um die kümmere ich mich.«
Bis zum Mittag war die Schule leer. Lund und Meyer besprachen sich in einem Flur neben den Schließfächern. An der Wand hingen Warnungen der Zentrale für gesundheitliche Aufklärung vor Drogen, Alkohol und ungeschütztem Sex. Gegenüber eine Reihe Film- und Rockplakate.
Meyer war fleißig gewesen. Er hatte drei Zeugen, die Lynge gesehen hatten, als er kurz nach Mittag Wahlkampfmaterial in der Schule abgeliefert hatte.
»Und am Abend?«
»Da stand der Wagen auch da. Vielleicht hat er von der Party gehört und ist noch mal zurückgekommen.«
»Und es war ganz sicher derselbe Wagen?«
Meyer drückte ihr ein paar Fotos in die Hand und grinste.
»Ja. Die haben Fotos gemacht, für die Homepage der Schule. Party time. Auf den Bildern von draußen vor der Schule ist er im Hintergrund zu sehen.«
Sein Handy klingelte. Während er sprach, sah Lund die Fotos durch. Hinter gruseligen Kostümen, Masken, Perücken und schaurigen Monstern die schwarze Silhouette eines Ford. Meyer würde wütend.
»Kommt nicht in Frage, das hatten wir doch besprochen«, schnauzte er ins Telefon.
Sie sah sich weitere Fotos an. Als sie neunzehn war, hatte es solche Halloween-Partys nicht gegeben. Und selbst wenn … Sie fragte sich, was ihre Mutter wohl dazu gesagt hätte.
»Ich sag das nicht nochmal«, schrie Meyer. »Die Antwort ist nein.« Er starrte das Telefon an. Fluchte.
»Das glaub ich jetzt nicht. Die hat einfach aufgelegt.«
»Was ist denn?«
»Hartmann gibt eine Pressemitteilung raus. Der will doch nur seinen mageren Arsch …«
Lund klatschte ihm die Fotos hin.
»Wir müssen zum Rathaus. Du fährst.«
Birk Larsen fuhr wie betäubt los, um einen Auftrag zu erledigen, und kehrte dann sofort wieder nach Hause zurück, entsetzt über seine eigene Rücksichtslosigkeit. Setzte sich mit Pernille in die Küche. Sie redeten nicht, warteten nur, ohne zu wissen, worauf. Dann kam Lotte, Pernilles Schwester. Birk Larsen saß stumm und teilnahmslos in der Ecke, schaute zu, wie sich die beiden umarmten und weinten, beneidete sie um ihre offen geäußerten Gefühle.
»Wie geht es den Jungs?«, fragte Lotte.
»Wir haben es ihnen noch nicht gesagt«, antwortete Pernille. »Theis?«
»Was?«
Es war sein erstes Wort seit einer Stunde.
Lotte setzte sich schluchzend an den Tisch. Pernille sah auf den Stundenplan an der Kork-Pinnwand mit den Familienfotos.
»Wir holen die Jungs nach dem Kunstunterricht ab. Der ist um zwei zu Ende.«
»Ja.«
Lotte war am Boden zerstört.
»Was hatte Nanna da bloß zu suchen? Sie würde doch nie zu einem Fremden ins Auto steigen.«
Noch mehr schwarzer Kaffee. Das dämpfte den Impuls, laut loszuschreien. Pernille hängte sinnlos Fotos an der Pinnwand um.
»Wir müssen …« Sie schnaubte, holte zweimal tief Luft. »Wir müssen jetzt an die Jungs denken.«
Sie weinte wieder, wollte es aber nicht zeigen. Birk Larsen sehnte sich danach, etwas zu tun. Wollte dringend weg von hier. Wusste, dass auch dieser unausgesprochene Gedanke eine Art Verrat war.
»Wir müssen es ihnen sagen«, sagte er.
Lund betrat das Büro der Liberalen Partei: Es roch nach Schweiß, poliertem Holz und altem Leder. Skovgaard, Hartmanns allzu elegante, allzu selbstbewusste politische Beraterin, telefonierte gerade. Es ging um die Pressemitteilung.
»Ich möchte zu Troels Hartmann«, sagte Lund, als Skovgaard aufgelegt hatte.
»Er ist in einer Besprechung.«
»Ah.«
Skovgaard ging zum Computer und gab etwas ein, nach Art vielbeschäftigter Leute im Stehen.
»Sie wollen jetzt doch eine Pressemitteilung rausgeben?«, fragte Lund.
Skovgaard tippte weiter.
»Ja. Wir können nicht länger warten.«
»Das müssen Sie aber.«
Skovgaard warf einen Blick auf die Tür hinter sich und sagte ganz langsam, wie zu einer Schwachsinnigen: »Das ist unmöglich.«
Lund ging vor, schob Skovgaard, die ihr laut protestierend in den Weg trat, beiseite und öffnete die Tür. Troels Hartmann sah konsterniert auf. Die Frau neben ihm ebenfalls. Kirsten Eller. Die füllige Frau von den Wahlplakaten. Sie lächelte nicht. Störungen mochte sie nicht.
»Tut mir leid«, sagte Lund zu dem Mann im tadellos gebügelten blauen Hemd. »Aber wir müssen reden.«
Gleich darauf am Fenster, Kirsten Eller außer Hörweite auf dem
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