Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
dunkel im Treppenhaus. Die Kinder zerschlugen immer wieder die Lampen. Mathilde Villadsen ließ sich seufzend auf ihre schmerzenden Knie nieder, wünschte, der Kater würde diese Spielchen lassen. Die Kälte des Steinbodens drang durch ihre Strümpfe. Im Dunkeln kroch sie über den Treppenabsatz und rief: »Samson, Samson! Böser Kater, böser Kater …«
Da stieß sie gegen etwas. Sie mühte sich, zu sehen, was es war, tastete mit den Händen. Schmutziges Leder, darüber Jeans. Schaute hoch. Ein kahler Kopf, ein narbiges Gesicht im flackernden Schein eines Feuerzeugs, dicht daneben die Schnurrhaare des Katers, im Arm eines Mannes. Er wirkte unglücklich. Verängstigt.
»Mein Kater …«, begann sie.
Das Feuerzeug näherte sich Samsons Gesicht. Er miaute und versuchte sich aus den kräftigen Armen zu winden. Eine tiefe Stimme. »Mund halten. Gehen Sie rein.«
Ein Hochzeitskleid an einer Schneiderpuppe, weißer Satin mit aufgestickten Blumen. Lunds Mutter Vibeke nähte für ein Geschäft in der Nähe. Nicht so sehr wegen des Geldes als vielmehr, um etwas zu tun zu haben. Das Witwendasein behagte ihr nicht. Es gab wenig, was ihr behagte.
»Was sagt denn Bengt dazu?«
Sie hielt sich sehr aufrecht, wirkte stets gepflegt, stets seriös, hatte eine kurz angebundene, manchmal sarkastische Art und ein kritisches Auge.
»Ich muss ihn noch anrufen.«
Vibeke trat einen Schritt zurück und musterte das Kleid. Brachte einen Stich an der Brust an, dann einen am Ärmel. Sie mochte es, wenn Frauen heirateten, glaubte Lund. Das schränkte ihre Möglichkeiten ein, band sie auf gottgewollte Weise.
»Du hast ihm noch gar nicht gesagt, dass du nicht kommst?«
»Keine Zeit.«
Ihre Mutter stieß diesen kurzen Seufzer aus, den Lund seit ihrer Kindheit kannte. Aber noch immer verblüffte es sie, wie viel Widerwille und Missbilligung in einem einzigen Seufzer liegen konnten.
»Hoffentlich vertreibst du ihn nicht auch noch.«
»Ich hab doch gesagt, ich ruf ihn an.«
»Carsten …«
»Carsten hat mich geschlagen!«
Der lange, kalte Blick.
»Ein einziges Mal. Er war dein Mann. Der Vater deines Kindes.«
»Er …«
»Wie du dich verhältst. Diese Besessenheit, was deine Arbeit angeht. Ein Mann muss wissen, dass er gewollt wird. Geliebt wird. Wenn man ihm das nicht gibt …«
»Er hat mich geschlagen.«
Vibeke schob die Nadel ganz vorsichtig in den glänzenden Satin am Ausschnitt. Lunds Handy klingelte. Es war Meyer. »Ich hab mit denen im Gefängnis gesprochen.«
»Und?«
»Vom Besuchsdienst waren insgesamt drei bei ihm. Eine ist tot, eine ist weggezogen, und die Dritte geht nicht ans Telefon.«
»Hol mich hier ab«, sagte Lund und gab ihm die Adresse in Østerbro. »In zwanzig Minuten.«
»Das Blaulichttaxi ist schon unterwegs. Hoffentlich stimmt das Trinkgeld.«
Die Polizei hatte überall in der Wohnung ihre Spuren hinterlassen. Nummern und Pfeile. Staub, wo sie nach Fingerabdrücken gesucht hatten. Anton, wie immer der Wissbegierigere, stand vor Nannas Zimmer und fragte: »Was ist das da an der Tür?«
»Geh da weg!«, fuhr Theis Birk Larsen ihn an. »Komm an den Tisch.«
Der Tisch. Pernille und Nanna hatten ihn gebaut, in einem leeren, fernen Sommer vor drei Jahren, als es nichts anderes zu tun gab, als in den Regen hinauszuschauen. Billiges Holz aus dem Baumarkt. Hatten Fotos und Schulzeugnisse auf die Platte geklebt und sie lackiert. Die Familie Birk Larsen, in der Zeit erstarrt. Nanna wurde sechzehn, wuchs schnell. Anton und Emil noch so klein. Gesichter, festgehalten an dem Ort, der das Herz der kleinen Wohnung war. Die meisten lächelnd. Inzwischen waren die Jungen sechs und sieben. Wache, fragende Augen. Neugierig, vielleicht ein wenig ängstlich. Pernille setzte sich, sah sie an, berührte ihre Knie, ihre Hände, ihre Wangen und sagte: »Wir müssen euch etwas sagen.«
Birk Larsen stand hinter ihr. Bis sie sich zu ihm umdrehte. Dann, ganz langsam, setzte er sich neben sie.
»Es ist etwas passiert«, sagte Pernille zu den beiden.
Die Jungen bewegten sich unruhig, warfen sich einen Blick zu.
»Was denn?«, fragte Emil, der Ältere, aber in mancher Hinsicht der Langsamere.
Draußen rumpelte der Verkehr vorbei. Von der Straße her hörte man Stimmen. So war es immer. Für Theis Birk Larsen würde es immer so bleiben. Zusammen. Eine Familie. Komplett. Seine breite Brust hob sich. Kräftige vernarbte Finger fuhren durch ergrauendes rotes Haar. Er fühlte sich alt, ohnmächtig, dumm.
»Jungs«, sagte er
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