Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
nichts.
»Warum sagen die uns nicht, was los ist, Theis? Das ist, als wären wir überhaupt nicht wichtig.«
»Wenn sie was wissen, rufen sie an.«
Sein Phlegma brachte sie zur Weißglut.
»Die wissen viel mehr, als sie uns sagen, Theis. Ist dir das denn egal?«
»Jetzt hör aber auf!«
»Ist dir das alles egal?«
Der Fernseher war der hellste Gegenstand im Raum.
»Woher sollte Nanna den Fahrer denn kennen? Jemand aus der Politik? Wie …?«
»Ich weiß es nicht!«
Zwischen ihnen klaffte ein Abgrund. Das war neu. Seine große, ungeschickte Hand wollte sie streicheln. Pernille wich zurück.
»Hör mal, Schatz. Am besten, wir fahren ein paar Tage weg. Vielleicht können wir das Ferienhaus mieten, wo wir am Wochenende waren?«
In dem Halbdunkel, ihre Gesichter erhellt von den Nachrichten über ihre Tochter, sah Pernille ihn fassungslos an.
»Die Polizei geht hier ständig ein und aus«, sagte sie. »Die Jungs können nicht vor die Tür gehen, ohne dass sie ein Bild von Nanna in der Zeitung sehen. Oder es kommt was darüber im Fernsehen. In der Schule sprechen die anderen Kinder sie darauf an.«
Sie fing an zu weinen. Seine Hand berührte ihr nasses Gesicht. Diesmal entzog sie sich ihm nicht.
»Und du«, sagte er, »siehst es dir an. Durchlebst es immer wieder. Jede Minute, den ganzen Tag …«
»Ich soll also aus Vesterbro flüchten, obwohl demnächst meine Tochter beerdigt wird?«
Sie hatten das Wort noch nicht ausgesprochen. Sich nicht einmal dem Gedanken gestellt. Birk Larsen rieb seine großen Hände aneinander. Kniff die Augen zusammen.
»Wir sprechen morgen mit dem Pfarrer, dann wissen wir, was noch alles zu tun ist. Ja?«
Stille. Das trübe Licht aus der Küche. Der große Mann mit dem Kopf in den Händen. Pernille Birk Larsen nahm die Fernbedienung, wechselte zu einem anderen Sender. Sah zu.
Vorsichtig, damit es nicht noch mehr wehtat, zog Lund den Pullover von den Färöern aus. Sah sich die blutige Schnittwunde an. Fragte sich, ob der Pullover sich noch stopfen ließ. Sie konnte das jedenfalls bestimmt nicht. Aber …
Das Hochzeitskleid hing noch auf der Schneiderpuppe, in den Ärmeln und am Ausschnitt Nadeln und Fäden. Hochzeitskleider waren das Einzige, was ihre Mutter nähte. Als führte sie einen einsamen Feldzug mit dem Ziel, die weibliche Weltbevölkerung unter die Haube zu bringen. Lund ließ den Pullover trotzdem neben dem Nähkästchen liegen. Ihre Mutter kam gähnend und grummelnd aus ihrem Zimmer.
»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Ja.«
Vibeke warf einen missmutigen Blick auf den Tisch.
»Musst du deine Sachen immer irgendwohin werfen? Kein Wunder, dass Mark so unordentlich ist.«
Sie sah die Wunde natürlich sofort. Kam, bückte sich, schaute.
»Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Du hast dich am Arm verletzt.«
Auf dem Herd Gulasch und Kartoffeln. Die Soße war geronnen. Die Kartoffeln trocken. Lund tat sich etwas von beidem auf einen Teller und stellte ihn in die Mikrowelle.
»Du hast geblutet.«
»Eine Katze hat mich gekratzt.«
»Du wirst mir doch nicht erzählen, dass das eine Katze war.«
»Es war eine herrenlose Katze.«
Sie sahen einander an. Eine Art Waffenstillstand war nötig. Zumindest in dieser Frage.
»Warum musst du unbedingt weiterarbeiten?«, fragte Vibeke. »Wo du jetzt endlich die Chance hast, ein geregeltes Leben zu führen.«
Die Mikrowelle piepte. Das Essen war lauwarm. Genug. Sie hatte Hunger. Sie setzte sich, nahm sich eine Gabel, fing an zu essen.
»Hab ich dir doch heute früh schon gesagt. Es ist nur bis Freitag. Wenn du ein Problem damit hast, können wir auch ins Hotel ziehen.«
Ihre Mutter trat an den Tisch, in der Hand ein Glas Wasser.
»Nein, warum sollte das ein Problem sein? Wieso …?«
Lund antwortete mit vollem Mund. »Entschuldige. Ich bin einfach müde. Lass uns nicht streiten.«
»Wir streiten doch nie. Du gehst doch immer raus.«
Lund lächelte, nahm sich noch eine Gabel Fleisch und Kartoffeln. Sie aß das seit ihrer Kindheit. Nichts Besonderes. Nahrhaftes Essen. Immer das Gleiche.
»Schmeckt sehr gut«, sagte sie. »Ehrlich.«
Ihre Mutter ließ sie nicht aus den Augen.
»Bengt lässt fragen, ob du am Freitag zu der Housewarming-Party kommst. Ich soll auch bei der Einrichtung des Gästezimmers mithelfen.«
Sie registrierte genau, wie viel von dem Essen gegessen wurde, wie viel übrig blieb.
»Er hat angerufen«, sagte Vibeke. »Heute Nachmittag. Er wollte wissen, wo du bist.«
Lund ließ den Kopf
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