Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Egal, was Sie sagen.«
In Lunds Zimmer, auf dem Schreibtisch Kaffee, unberührt. Theis und Pernille Birk Larsen hörten zu.
»Wir haben einen vorläufigen Bericht der Pathologie«, sagte Lund. »Aber er ist noch nicht ganz fertig. Die Beerdigung …«
»Wir brauchen Abstand«, warf Birk Larsen ein. »Wir fahren heute Nachmittag ans Meer. Diese verdammten Reporter. Die Jungs.« Er sah ihr ins Gesicht. »Und andauernd Sie und Ihre Leute in unserer Wohnung. Sie können dort tun und lassen, was Sie wollen, wenn wir nicht da sind.«
»Wenn es Ihnen so lieber ist.«
»Was machen die noch mit ihr?«, fragte Pernille.
»Noch ein paar Untersuchungen. So genau weiß ich das auch nicht.« Eine Lüge, eine, die sie immer benutzte. »Aber man wird Sie sofort informieren, wenn der Leichnam freigegeben wird.«
Die Mutter war woanders, dachte Lund. In ihren Erinnerungen. Oder ihrer Phantasie.
Wieder der Vater.
»Wo kommt sie dann hin?«
»Normalerweise übernimmt das ein Bestatter. Das entscheiden Sie.«
Pernille wachte auf.
»Was genau ist mit ihr passiert?«, fragte sie unter Tränen. »Was hat er getan?«
Lund drehte die Handflächen nach oben.
»Das kann ich erst sagen, wenn der vollständige Bericht vorliegt. Aber ich kann gut verstehen, dass Sie es wissen wollen. Es ist …«
Theis Birk Larsen wirkte so, als hätte er sich am liebsten mit seinen großen Händen die Ohren zugehalten. Es klopfte. Ein Beamter aus dem Team. Entschuldigte sich, bat um Unterlagen von Lunds Schreibtisch. Es waren so viele, und es stand so wenig drin. Lund half ihm. Ließ sich einen Moment ablenken. Merkte nicht, dass die Tür offen stand. Aber Pernille Birk Larsen merkte es und warf einen Blick in den Raum nebenan.
Fotos an der Wand: zwei mit schwarzen Plastikbändern gefesselte Füße. Beine mit Blutergüssen auf einem Chromtisch. Ein totes Gesicht, Nannas Gesicht, mit Wunden übersät, die Augen geschlossen, die Lippen violett und geschwollen. Ein blutiges Auge. Ein abgebrochener Fingernagel. Das Hemd mit einem Einstichloch. Ein zerrissenes Top. Pfeile wiesen auf Details, auf Blutflecken und Schnittwunden. Kreise markierten Flecken, Notizen beschrieben Verletzungen. Ihr Körper, auf der Seite, die Hände gefesselt, die Füße zusammengebunden. Auf einem Tisch, bewegungslos.
Pernille steht auf. Ihr Atem geht stoßweise, ihr Herz rast. Theis neben ihr. Sie steuern auf die Tür zu. Ein einziges Geräusch: ein Bleistift, der herunterfällt. Der Bann war gebrochen. Lund sah auf, zerrte den Beamten wutentbrannt zur Tür, schob ihn hinaus, schrie: »Tür zu!«
Wandte sich wieder den beiden zu.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Sie standen schweigend da. Der große Mann und seine Frau. Jenseits aller Tränen, dachte sie. Jenseits jedes Gefühls.
»Es tut mir leid«, sagte sie noch einmal und hätte am liebsten geschrien.
Er umklammerte mit einer Hand die Schreibtischkante, mit der anderen die Hand seiner Frau.
»Es ist wohl besser, wir gehen jetzt«, sagte Theis Birk Larsen. Sie gingen den Flur entlang wie zwei Gespenster, die sich in der Vorhölle verirrt haben, Hand in Hand, ohne wahrzunehmen, wohin sie gingen.
»Sie können mich jederzeit anrufen«, rief Lund ihnen nach und wünschte sich, sie hätte etwas anderes sagen können.
Rektorin Koch hatte keine Zeit für die Polizei.
»An dieser Schule muss wieder Normalität einkehren«, sagte sie. »Es wird ein Gedenkgottesdienst stattfinden. Ich werde eine Ansprache halten.«
»Es geht nicht darum, was für Sie wichtig ist«, sagte Lund.
Sie standen in dem Flur vor Nannas Klassenzimmer. Schüler und Schülerinnen kamen und gingen. Lund sah, dass Oliver Schandorff sich in der Nähe herumdrückte und zu lauschen versuchte.
»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass jemand aus dieser Schule etwas damit zu tun hat.«
Meyer hatte nur auf dieses Stichwort gewartet.
»Wissen Sie was? Wenn Sie uns unsere Arbeit machen lassen, können wir das vielleicht beantworten.«
Er bedachte sie mit seinem fiesesten Blick. Als sie ging, sagte er: »Lynge ist gegen Mittag hier reingekommen. Im Büro haben sie ihm gesagt, er soll seine Plakate in den Keller bringen. Aber er hat auch bei der Turnhalle rumgelungert.«
»Warum denn das?«
»Keine Ahnung. Vielleicht war er zu faul für was anderes. Oder ihm war schlecht. Oder er schaut gern Mädchen beim Korbballspielen zu.«
»Vielleicht hat er dort den Schlüssel verloren.«
Meyer zuckte die Schultern.
»Wer hatte dann noch
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