Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
sie vor der Tür zum OP.
Sie blieb stehen und wiederholte ihre Frage mit doppelter Lautstärke. Keine Antwort. Dann war John Lynge weg.
»Wir haben Abdrücke«, berichtete Meyer. »Die KTU hat seine Schuhe.«
»Und keine Abdrücke zum Vergleich. Er hat gesagt, er ist ins Krankenhaus gefahren!«
»Ach!«
»Hast du das schon mal von jemandem gehört, Meyer? Nicht etwa: Ich hab mit meiner Freundin gevögelt. Oder: Ich war in einer Kneipe. Sondern: Ich bin ins Krankenhaus gefahren?«
Keine Reaktion.
»Er hat behauptet, er hat den Autoschlüssel in der Schule verloren. Er ist mit dem Taxi zum Krankenhaus, und als er zurückkam, war das Auto weg.«
»Der lügt doch!«
Meyer sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Er hat dich verletzt, Lund. Der hätte auch weitergemacht.« Er kam näher. »Hätte dir das Gesicht in Streifen geschnitten. Macht dir das nichts aus?«
»Das heißt aber nicht, dass er Nanna Birk Larsen umgebracht hat. Lass dir die Klinikunterlagen zeigen.«
»Ach, komm schon. Glaubst du wirklich …«
»Ich glaube überhaupt nichts. Ich will nur wissen, ob er ein Alibi hat. Krieg das raus.«
Sie schrie es förmlich. Was gar nicht ihre Art war. Der Mann war ihr unter die Haut gegangen. Sie zog ihre Jacke aus, um nach dem Ärmel ihres schwarz-weißen Pullovers zu sehen. Der war hin. Lynges Klinge hatte die Wolle glatt durchschnitten und ihr eine Fleischwunde quer über den Arm beigebracht, knapp unter der Schulter.
»Das sollte sich jemand ansehen.«
»Wär vielleicht nicht schlecht. Was ist mit der alten Frau?«
»Ich hab angerufen, während du die Ärzte angeschrien hast. Sie haben sie zu Verwandten gebracht.«
Lund nickte. Sie war jetzt ruhig. Der Schnitt tat weh, aber das wollte sie sich nicht anmerken lassen.
»Geh nach Hause und schlaf ein bisschen«, sagte sie zu ihm. »Und die sollen Bescheid sagen, wenn sich sein Zustand ändert.«
Er verschränkte die Arme, rührte sich nicht.
»Was ist?«, fragte Lund.
»Erst sprichst du mit einer Krankenschwester. Vorher geh ich nirgendwohin.«
Die Fernsehdiskussion war zu Ende. Bestenfalls ein Unentschieden, dachte Hartmann. Draußen, wo alle auf ihre Wagen warteten, nahm er Rie Skovgaard beiseite und fragte: »Hast du was von Lund gehört?«
»Nein.«
»Hast du sie angerufen?«
»Ich erreiche sie nicht.«
Es regnete. Ihr Fahrer ließ sich nicht blicken.
»Wir können nicht noch länger warten. Setz eine Pressemitteilung auf.«
»Na endlich …«
»Gib sie dem Journalisten, der angerufen hat. Der ist okay. Sag ihm, er kriegt es exklusiv. Wir brauchen eine Atempause …«
Bremer kam mit forschen Schritten daher, sein Jackett über der Schulter, schaute in den Regen hinaus und zog sich unter das Vordach zurück.
»Ist das eine Krisensitzung?«
Sie verstummten.
»Mit Verlaub, ich fand, du hast heute Abend etwas eingerostet gewirkt«, sagte Poul Bremer.
»Ach ja?«
Auf beiden Seiten keine Punktgewinne. Keine Ballverluste. Aber die Art, wie Bremer die ganze Zeit gelächelt hatte, gab Hartmann zu denken. Bei jedem Thema, jeder Frage, war er auf den persönlichen Charakter zu sprechen gekommen. Auf Hartmanns mangelnde Erfahrung, auf Vertrauensbeweise. Der alte Gauner wusste etwas. Und wartete nur auf den richtigen Moment, um es rauszulassen.
»Ja, eingerostet«, wiederholte Bremer. »Du musst noch besser werden.«
»Bis zur Wahl sind es ja noch drei Wochen«, sagte Skovgaard. »Zeit genug.«
»Du sparst dir dein Pulver auf. Sehr vernünftig. Du wirst es noch brauchen, was man so hört. Gute Nacht.«
Hartmann sah ihm nach.
»Irgendwann zerreiße ich den Dinosaurier in der Luft«, murmelte er.
»Du musst wirklich deinen Jähzorn in den Griff kriegen«, sagte Skovgaard.
Er bedachte sie mit einem eisigen Blick.
»Ach ja?«
»Ja. Es ist gut, wenn du leidenschaftlich rüberkommst. Zupackend. Engagiert. Das schon. Aber nicht aufbrausend, Troels. Das mögen die Leute nicht.«
»Danke. Ich werd dran denken.«
»Bremer sucht nach Schwachpunkten. Servier ihm keinen auf dem silbernen Tablett. Dein Jähzorn macht dich angreifbar. Er ist nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist.«
Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen.
»Wir haben ein Problem.«
Skovgaard hielt ihm ihr Handy hin.
»Die Nachrichtenagentur Ritzau hat das mit dem Wagen auch mitgekriegt. Die Meldung ist raus.«
Die schwarze Limousine fuhr vor. Der Rathaus-Fahrer stieg aus und öffnete die Türen.
»Ich hab’s dir gesagt: Wir hätten möglichst früh damit an die
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