Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
die er finden konnte.
»Bei Gott«, wiederholte er.
Sie gingen schweigend zum Ausgang. Nach zwei Schritten blieb Pernille stehen, drehte sich um, sah den Pfarrer in seinem braunen Jackett und seinen dunklen Hosen an.
»Was soll ich denn damit anfangen?«
Der Pfarrer stellte einen Stuhl zurück. Das Notizbuch steckte in seiner Tasche wie das Maßbuch eines Tischlers. Wahrscheinlich addierte er im Kopf schon, wie viel zusammenkommen würde.
»Was?«, schrie sie.
»Schatz«, sagte Birk Larsen und nahm ihre Hand. Sie riss sich los.
»Nein, das möchte ich gerne wissen!«, brüllte Pernille den Mann auf der Treppe an, der auf dem Weg zum Altar wie angewurzelt stehen blieb, erschrocken über ihren Wutausbruch. »Was soll ich damit anfangen? Sie mit Ihrem salbungsvollen Gerede …«
Er wich nicht zurück. Nahm seinen Mut zusammen. Kam zurück, stellte sich ihr.
»Das Leben erscheint manchmal sinnlos und unbarmherzig. Und besonders unbarmherzig ist es, ein Kind zu verlieren. Der Glaube hilft, die Hoffnung zu bewahren. Und stark zu bleiben.«
Sie war außer Atem. Ihr Herz hämmerte.
»Zu wissen, dass das Leben nicht sinnlos ist …«
»Was reden Sie da bloß für einen Scheiß?«, kreischte Pernille. »Es ist mir so was von egal, ob sie jetzt bei Gott ist. Verstehen Sie?«
Sie griff sich an die Brust. Die Stimme drohte ihr zu versagen. Der Pfarrer blieb stehen, wo er war, vor dem Altar. Theis Birk Larsen, starr vor Schreck, schlug die Hände vors Gesicht.
»Verstehen Sie?«, jammerte Pernille. »Sie müsste doch …« In der dunklen, kalten Kirche flatterte irgendwo ein Vogel auf, trockenes Flügelrascheln unter dem Gewölbe. »… bei mir sein.«
Lund kaute ein Nicotinell. In dem leeren Klassenzimmer musterte sie den rothaarigen Jungen, Oliver Schandorff. Verzerrtes Gesicht, zuckende Finger, hochgradig nervös.
»Du bist gestern sehr früh von der Schule nach Hause gegangen, Oliver. Am Montag warst du gar nicht im Unterricht.«
»Ich war krank.«
»Faulheit ist keine Krankheit«, sagte Meyer.
Schandorff starrte sie böse an, sah aus wie ein Zehnjähriger.
»Du hast eine Abwesenheitsrate von siebzehn Prozent«, fuhr Lund mit einem Blick in die Unterlagen fort.
»Klassenschläger«, warf Meyer mit einem bösartigen Grinsen ein. »Kind reicher Eltern. Dumme, nachsichtige Eltern. Den Typ kenn ich.«
»Nein, nein«, rief Schandorff. »Ich hatte Streit mit Nanna. Das ist alles.«
Lund und Meyer sahen sich an.
»Du hast mit Lisa geredet«, sagte Meyer. »Was hat sie dir noch gesagt?«
»Ich hab nichts getan. Ich würde Nanna nie was tun.«
»Warum hat sie mit dir Schluss gemacht?«, fragte Lund.
Er zuckte die Schultern.
»Halt so. Ist mir doch egal.«
Meyer beugte sich vor und schnupperte an Schandorffs teurem himmelblauen Pullover.
»Es hat sie genervt, dass du so viel Dope konsumierst, kann ich mir vorstellen.«
Schandorff wischte sich mit der Hand über den Mund.
»Vor vier Monaten festgenommen, wegen Speed. Zwei Monate später schon wieder.« Meyer schnupperte noch einmal. »Ich würde sagen, du bist da in was reingeraten …«
Er sah den Jungen an, überrascht, als hätte er etwas entdeckt. Beugte sich vor, bis er nur noch eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt war. Oliver fuhr erschrocken zurück.
»Moment«, sagte Meyer und schaute ihm in die Augen. »Was ist denn das?«
»Wieso, was denn?«
»Da ist was. Ein winziger Fleck … ich weiß nicht. Hinter deinen Augen.«
Meyer zeigte darauf. Schandorff saß schon mit dem Rücken an der Lehne, konnte nicht noch weiter zurück.
»Ach, nein«, sagte Meyer und seufzte erleichtert. Zog sich zurück. »Es ist nichts. Bloß dein Gehirn …«
»Geh’n Sie zum Teufel«, murmelte Oliver.
»Hast du Nanna auch was von dem Scheißzeug gegeben?«, schrie Meyer ihn an. »Hast du gesagt … hey, weißt du was, wir ziehen uns was rein … und, ach ja, übrigens wär’s besser, wenn du die Hose ausziehst.«
Der rothaarige Kopf kam nach vorn.
»Nanna mochte es nicht so besonders.«
»Was?«, fragte Lund. »Das Dope oder das …?«
»Beides.«
»Also bist du ausgerastet?« Meyer hatte das Kinn auf die Hände gestützt. Eine Pose, die besagte: Wir haben Zeit. »Auf der Tanzfläche. Da hast du mit Stühlen um dich geworfen. Hast sie angeschrien.«
»Ich war betrunken!«
»Ach so.« Meyers Miene hellte sich auf. »Dann ist ja alles okay. Und nach neun, was hast du da gemacht?«
»Hinter der Bar gearbeitet.«
Lund schob ihm ein Blatt Papier
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