Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
hin.
»Du stehst nicht auf dem Plan.«
»Ich hab hinter der Bar gearbeitet.«
Meyer übernahm wieder.
»Wer hat dich da gesehen?«
»Jede Menge Leute.«
»Auch Lisa?«
»Die auf jeden Fall.«
»Nein, hat sie nicht«, sagte Lund.
»Ich war viel unterwegs, hab Gläser geholt und so.«
»Hör mal zu, Freundchen.« Meyer wurde wieder laut, anders jetzt. Kalt und drohend. »Nach halb zehn hat dich niemand mehr gesehen.«
Er stand auf, zog einen Stuhl neben Schandorff, setzte sich so dicht neben ihn, dass sie Tuchfühlung hatten. Legte ihm den Arm um die Schulter. Drückte zu. Lund holte tief Luft.
»Was hast du gemacht, Oliver? Sag’s Onkel Jan. Sonst wird er böse. Und das wird dir nicht gefallen, das wissen wir beide.«
»Nichts.«
»Bist du ihr hinterher?« Wieder ein Druck. »Hast du im Keller auf sie gewartet?«
Schandorff befreite sich aus seinem Griff. Meyer zwinkert ihm zu: »Nanna hatte einen anderen, stimmt’s? Du hast es gewusst. Du warst außer dir vor Eifersucht. Hast schier durchgedreht.« Meyer nickte. »Das muss man sich mal vorstellen. Du, der Sohn reicher Eltern. Sie hat dir gehört. Das geht doch nicht, dass eine hübsche kleine Mieze aus einem Kaff wie Vesterbro dich an der Nase rumführt.«
Schandorff sprang auf, fuhr sich durch das zerwühlte rote Haar und schrie: »Ich hab doch gerade gesagt …« Seine Stimme war jetzt höher. Von einem Moment auf den anderen wieder der kleine Junge.
»Und der Autoschlüssel?«, fragte Meyer.
»Was denn für ein Autoschlüssel?«
»Du hast gewusst, dass das Auto draußen stand!«
»Keine Ahnung, wovon Sie reden!«
»Nanna wollte nicht. Da hast du sie vergewaltigt! Und sie draußen in den Kanal gekippt. Auf dem Heimweg …«
»Halten Sie den Mund!«
Meyer wartete. Lund sah ihn an.
»Ich habe sie geliebt!«
»Oliver.« Meyer strahlte ihn an. »Du hast gesagt, es war dir egal. Du hast sie geliebt, aber für sie warst du ein blöder Wichser. Also hast du gemacht, was jeder fiese kleine nichtsnutzige Junkie machen würde. Du hast sie vergewaltigt. Hast sie gefesselt und hinten ins Auto geworfen …«
Oliver hatte sich wieder hingesetzt, schüttelte ständig den Kopf.
»Hast sie da reingeworfen, damit niemand sie schreien hört, und sie in den Kanal gekippt.«
Meyer schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Kugelschreiber und das Notizbuch hochsprangen. Oliver Schandorff saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl, stumm und zitternd. Lund wartete. Nach einer Weile sagte sie ganz ruhig: »Oliver, wenn du uns was zu sagen hast, dann sag’s jetzt.«
»Wir bringen ihn am besten aufs Revier«, mischte sich Meyer ein und griff nach seinem Handy. »Oliver und ich müssen uns mal in aller Ruhe unterhalten, allein zu zweit in einer Zelle.«
Die Tür des Klassenzimmers ging auf, und zwei Menschen kamen herein. Ein Mann mittleren Alters in einem teuren Anzug. Hinter ihm eine verhärmt wirkende Frau.
»Ich bin Olivers Vater«, sagte der Mann. »Ich möchte mit meinem Sohn sprechen.«
»Sie sind hier bei der Kriminalpolizei«, sagte Lund. »Sie stören unsere Vernehmung. Gehen Sie.«
Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. Die Frau sah ihn an, erwartete, dass er etwas unternahm.
»Wird er verdächtigt?«
Meyer wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht und sagte: »Hallo? Hören Sie schlecht …?«
Eine Brieftasche. Eine Visitenkarte, die er ihnen unter die Nase hielt. Erik Schandorff. Großkotziger Anwalt einer großkotzigen Firma.
»Ich verbitte mir diesen Ton«, sagte Erik Schandorff.
»Oliver hilft uns …«, setzte Lund an.
»Papa!«
Der Schrei eines verängstigten Kindes.
»Ich will mit ihm reden«, sagte der Vater.
Draußen auf dem Gang. Meyer fluchte leise vor sich hin. Lund schaute aus dem Fenster. Vater und Sohn, Oliver mit gesenktem Kopf, nebeneinander. Der Junge sah auf, und der Vater schlug ihm mit voller Wucht mit dem Handrücken ins Gesicht.
»Glückliche Familien«, murmelte Meyer und zündete sich eine Zigarette an. »Also, wenn ich das getan hätte …«
Eine Minute später, reicher Anwalt, reiches Kind und stumme Ehefrau gehen hinaus. Ohne ein Wort.
»Wir sprechen uns noch, Oliver!«, rief Meyer ihnen nach.
Lund lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, verschränkte die Arme, schloss die Augen. Er sah sie an, als sie sie wieder öffnete.
»Ich weiß, was du denkst, Lund. Man könnte vielleicht sagen, dass ich ihn ein bisschen zu hart angefasst habe. Aber wenn dieser Idiot nicht reingeplatzt wäre
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