Das Verbrechen von Orcival
Studienobjekt, und da Sie sich immer für etwas Neues interessieren, dürfte es Ihnen doch eine Freude sein, ihm dabei zu helfen.«
Meister Robelot war zu gewitzt, um nicht zu vermuten, daà diese Unterhaltung oder vielmehr dieses Verhör auf irgend etwas hinauslief. Aber worauf? Was wollte der Friedensrichter von ihm? Das fragte er sich nicht ohne eine gewisse Furcht. Und indem er blitzschnell rekapitulierte, auf wieviel verfängliche Fragen er genauso verfänglich geantwortet haben könnte, zitterte er.
Er glaubte, geschickt zu antworten und anderen Fragen auszuweichen, als er sagte: »Ich stehe meinem alten Herrn gern zur Verfügung, so er mich braucht.«
»Er wird Sie brauchen, das versichere ich Ihnen«, sagte Vater Plantat.
Und mit einem schmeichelnden Ton, der den bleiernen Blick, mit dem er den Quacksalber von Orcival bedachte, Lügen strafte, fügte er hinzu:
»Das Interesse wird riesig sein und die Aufgabe schwierig. Man wird nämlich, mein Lieber, die Leiche des Herrn Sauvresy exhumieren.«
Robelot war mit Sicherheit auf irgend etwas Schreckliches vorbereitet und hatte sich gewappnet. Doch bei dem Namen Sauvresy, der wie ein Keulenschlag auf ihn niederprasselte, stammelte er nur mit ersterbender Stimme: »Sauvresy!«
»Ja«, erwiderte Vater Plantat mit dem natürlichsten Ton der Welt, als spräche er von etwas Belanglosem, über Regen oder schönes Wetter, »man wird Sauvresy exhumieren. Man vermutet, daà er keines natürlichen Todes gestorben ist.« Der Quacksalber lehnte sich an die Wand, um nicht zu stürzen.
»Nun«, fuhr der Friedensrichter fort, »und deshalb hat man sich an Doktor Gendron gewandt. Er hat, wie Sie wissen, Reagenzien gefunden, die das Vorhandensein eines Alkaloids beweisen, welcher Art es auch sei. Er hat mir von einem Lackmuspapier erzählt...«
Indem er all seine Kräfte zusammennahm, bemühte sich Robelot, seine Verwirrung nicht zu zeigen und Haltung zu bewahren.
»Ich kenne die diesbezüglichen Versuche von Doktor Gendron«, sagte er, »aber ich verstehe nicht, gegen wen sich der Verdacht richten sollte, von dem der Herr Friedensrichter soeben gesprochen hat.«
Vater Plantat blieb unbeeindruckt.
»Man hat, denke ich, mehr als nur einen Verdacht. Wie Sie wissen, wurde Madame de Trémorel ermordet, man hat ihre Papiere gesichtet und dabei Briefe gefunden, eine schwerwiegende Anschuldigung, Quittungen..., was weià ich.« Robelot wuÃte nun, woran er war, doch hatte er soviel Kaltblütigkeit, zu bemerken: »Teufel! Sollte sich die Justiz geirrt haben!«
Die Haltung des Mannes war so gefaÃt, daà er, obwohl er wie Espenlaub zitterte, mit einem Lächeln seiner dünnen Lippen hinzufügte:
»Madame Courtois kommt nicht wieder herunter, man erwartet mich zu Hause, ich werde morgen wiederkommen. Guten Abend, Herr Friedensrichter und Begleitung.«
Er verlieà den Raum, und bald vernahm man das Knirschen des Kieses im Hof unter seinen Schritten. Er wankte ein wenig, wie jemand, der getrunken hat.
Als der Heilpraktiker gegangen war, stellte sich Monsieur Lecoq vor den Friedensrichter hin, lüpfte seinen Hut und bemerkte:
»Respekt, mein Herr, Respekt; Sie sind so gerissen wie mein Meister, der groÃe Tabaret.«
Der Beamte der Sûreté war gepackt. Der Künstler in ihm war erwacht: er stand einem auÃerordentlichen Fall gegenüber, einem von diesen Verbrechen, das den Verkauf der Gazette des Tribunaux verdreifachte. Sicher, einige Details waren ihm noch ein Rätsel, er wuÃte auch noch nicht, an welchem Ende er das Garnknäuel entwirrren sollte, aber im groÃen ganzen sah er doch klar. Als er das System des Friedensrichters durchschaut hatte, war er Schritt für Schritt dem Gedankengang dieses so verschmitzten Beobachters gefolgt, und auch er entdeckte die Widersprüche und das Komplizierte in einem Fall, der für Monsieur Domini so offenkundig war. Sein wacher Verstand, der darin geschult war, alle Indizien nur als Bausteine eines genau geplanten Motivs genau zu betrachten, hatte das, was er tagsüber entdeckt hatte, sorgfältig analysiert, und er konnte nicht umhin, Vater Plantat insgeheim Lob zu zollen. Er steckte sich ein Bonbon in den Mund und dachte: Dieses dreimal verteufelte Schlitzohr von Landrichter und ich werden den Fall schon lösen.
»Mein Herr«, sagte er, »während Sie diesen Kerl befragten, war
Weitere Kostenlose Bücher