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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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reichlich spät, aber mitnichten verbarg sich hinter den banalen Sätzen, die man tauschte, ein verborgener Sinn.
    Louis, der sich eine saubere Weste angezogen hatte, kam und ging hinter den Gästen, eine weiße Serviette über dem Arm, schnitt Fleisch oder schenkte zu trinken nach. Madame Petit brachte die Gerichte herein, wobei sie jedes einzeln trug und dabei die Tür weit offen ließ, um sich ja kein Wort entgehen zu lassen.
    Die arme Haushälterin! Sie hatte ein exzellentes Essen vorbereitet, aber keiner würdigte das. Gewiß, Monsieur Lecoq verschmähte die erlesenen Stücke nicht, aber trotzdem..., als Louis einen Korb herrlicher Weintrauben auf den Tisch stellte – am 9. Juli! –, verzog sich sein Mund nur zu einem Lächeln. Und Doktor Gendron hätte nicht einmal zu sagen vermocht, was er eigentlich gegessen hatte.
    Das Abendessen war beendet, und Vater Plantat fand die Anwesenheit der Dienstboten bereits lästig. Er rief die Haushälterin zu sich.
    Â»Bringen Sie uns den Kaffee in die Bibliothek«, sagte er zu ihr, »danach können Sie und Louis sich zurückziehen.«
    Â»Aber die Herren haben ja noch nicht einmal ihre Zimmer gesehen«, erwiderte Madame Petit, die durch diese Anweisung ihren Horchplan durchkreuzt sah. »Die Herren werden sicher noch einiges brauchen.«
    Â»Ich werde mich um die Herren kümmern«, entgegnete der Friedensrichter, »und falls sie etwas brauchen, bin ich ja da.« In der Bibliothek reichte Vater Plantat eine Kiste Zigarren herum. »Bevor wir schlafen gehen, tut eine Zigarre sicher gut«, bemerkte er.
    Monsieur Lecoq wählte sorgfältig die hellste und festeste der handgedrehten Havannas aus und sagte, nachdem er sie angezündet hatte:
    Â»Sie können ruhig schlafen gehen, meine Herren, ich bin zu einer schlaflosen Nacht verdammt. Doch bevor ich mich an meinen Bericht mache, habe ich noch ein paar Fragen an den Herrn Friedensrichter.«
    Vater Plantat verbeugte sich zum Zeichen der Zustimmung.
    Â»Lassen Sie uns zusammenfassen, was wir an Fakten haben«, fuhr der Polizeibeamte fort. »Die Situation ist ernst, und die Zeit drängt. Von unserer Geschicklichkeit hängt das Schicksal mehrerer Unschuldiger ab, denen man so viel Belastendes vorwerfen könnte, daß sie jedes Geschworenengericht verurteilen würde. Wir haben zwar ein System, aber Monsieur Domini hat auch eins, und seins basiert auf Indizien, während sich das unsere auf höchst anfechtbare Vermutungen stützt«
    Â»Wir haben mehr als nur Vermutungen, Monsieur Lecoq«, antwortete der Friedensrichter.
    Â»Ich denke genauso«, unterstützte ihn der Doktor, »aber noch müssen wir das erst beweisen.«
    Â»Und ich werde es beweisen, zum Teufel!« erwiderte Monsieur Lecoq lebhaft. »Die Sache ist kompliziert, schwierig, verworren..., na, um so besser! Wäre sie das nicht, würde ich auf der Stelle nach Paris zurückfahren und Ihnen morgen einen meiner Männer schicken. Leichte Fälle überlasse ich nur Kindern; ein Hindernis ist schließlich dazu da, um es zu überwinden.«
    Der Mann von der Präfektur war wie umgewandelt. Das war zwar noch derselbe Mann mit blaßblondem Haupthaar und Backenbart und der fadenscheinigen Kleidung, aber Stimme, Physiognomie, ja selbst sein Gesichtsausdruck hatten sich verändert. In seinen Augen blinkten kleine Funken, seine Stimme klang eisern, und seine energische Geste unterstrich die Kühnheit seines Gedankens und seine Entschlossenheit.
    Â»Sie werden sich denken können, meine Herren, daß unsereiner nicht wegen der paar tausend Francs, die man in der Präfektur verdient, Polizist ist. Auch Krämer wird man nur aus Berufung. So wie Sie mich hier sehen, bin ich mit Zwanzig als Kalkulator zu einem Astronomen gekommen. Das war mehr eine Wohlfahrtsstelle. Mein Herr gab mir siebzig Francs im Monat inklusive Frühstück. Dafür hatte ich pro Tag einige Quadratmeter mit Zahlen vollzukritzeln.«
    Monsieur Lecoq paffte an seiner Zigarre, die auszugehen drohte, und blickte Vater Plantat lächelnd an.
    Â»Nun, ich gehörte nicht gerade zu den glücklichsten Geschöpfen. Weil – ich vergaß das zu erwähnen – ich zwei kleine Laster hatte, ich liebte die Frauen, und ich liebte das Spiel. Man ist eben nie vollkommen. Die siebzig Francs meines Sternguckers genügten mir nicht, und während ich meine Zahlenkolonnen

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