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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Friedensrichter zwei Männer – vielmehr zwei Schatten –, die mit Händen und Füßen um sich schlugen. Bald verschmolzen die beiden Schatten zu einem einzigen, dann trennten sie sich, um erneut ineinanderzufließen; einer der beiden fiel, erhob sich sofort wieder und stürzte neuerlich zu Boden. »Bemühen Sie sich nicht, meine Herren«, ertönte Lecoqs Stimme, »Ich habe den Kerl!«
    Der aufrecht stehende Schatten, es mußte der des Polizisten sein, bückte sich, und der Kampf, der bereits beendet schien, begann erneut. Der auf dem Boden liegende Schatten verteidigte sich vehement mit der so gefährlichen Energie, die einem Hoffnungslosigkeit eingibt. Sein Rumpf wirkte auf dem Rasen wie ein großer brauner Fleck, und seine Beine zappelten konvulsivisch hin und her.
    Die Herren Gendron und Plantat waren für Augenblicke verwirrt, als sie nicht mehr erkennen konnten, welcher der beiden Schatten denn nun der des Polizeibeamten war. Plötzlich ertönte ein schmerzlicher Aufschrei, der von einem Fluch begleitet war:
    Â»Ah! Kanaille!«
    Doch sofort darauf erklang ein markerschütternder Schrei durch die Nacht, und die spöttische Stimme des Mannes von der Präfektur rief:
    Â»Ich habe ihn endlich überzeugt, sich uns vorzustellen! Leuchten Sie ein bißchen!«
    Der Arzt und der Friedensrichter stürzten beide zur Lampe. Ihr Eifer beeinträchtigte ihre Schnelligkeit, und so wurde in dem Augenblick, da sie mit der Lampe wieder zum Fenster eilen wollten, bereits die Tür zur Bibliothek aufgestoßen. »Meine Herren, ich stelle Ihnen hiermit den Meister Robelot, Quacksalber von Orcival, vor, Kräutersammler aus Vorsicht und Giftmischer aus Berufung«, sagte der Detektiv. Vater Plantat und Doktor Gendron waren so überrascht, daß sie kein Wort sagten. Es war in der Tat der Heilkundige, der da vor ihnen stand. Aber ihre Überraschung resultierte weniger aus dessen Gegenwart, die nichtsdestotrotz unerklärlich war, sondern vielmehr aus dem Auftreten und dem Aussehen des anderen, der mit eiserner Faust, die Handschellen in nichts nachstanden, den ehemaligen Laboratoriumsgehilfen festhielt und nun in den Raum stieß.
    Dieser andere hatte unzweifelhaft Lecoqs Stimme, seine Kleidung, seine sorgfältig geknotete Krawatte, und trotzdem war das nicht mehr Monsieur Lecoq. Blond und mit gepflegtem Backenbart war er aus dem Fenster gesprungen; dunkel und mit bartlosem Gesicht kam er zur Tür wieder herein. Hinausgesprungen war ein Mann in mittleren Jahren mit bemerkenswerter Physiognomie, der je nach Bedarf einen dümmlichen oder intelligenten Gesichtsausdruck annehmen konnte; herein kam ein hübscher Bursche von etwa fünfunddreißig mit blitzenden Augen und bebenden Lippen; das wellige dunkle Haar unterstrich seine helle Haut und seinen energischen Kopf. Am Hals, etwas unterhalb des Kinns, hatte er eine blutende Schramme.
    Â»Monsieur Lecoq!« rief der Friedensrichter, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte.
    Â»Derselbe«, antwortete der Polizeibeamte, »und diesmal der richtige.« Und indem er sich an den Quacksalber wandte und ihm einen Schubs versetzte, sagte er: »Vorwärts!«
    Der Heilpraktiker stolperte über einen Sessel, aber der Mann von der Polizei hielt ihn fest.
    Â»Jawohl«, fuhr er fort, »dieser Spitzbube hat mir meinen blonden Haarschmuck heruntergerissen. Dank ihm und wider meinen Willen erscheine ich vor Ihnen, wie mich der Herrgott geschaffen hat.« Er machte eine wegwerfende Geste und fügte weniger ärgerlich hinzu: »Ich bin der wahre Lecoq, und ohne zu übertreiben kann ich sagen, daß mich bisher nur drei Personen so kannten: zwei treue Freunde und eine Freundin, die weniger treu ist, genau die, von der ich vorhin erzählt habe.«
    Die Augen von Vater Plantat und Doktor Gendron schauten so neugierig, daß der Agent der Sûreté sagte:
    Â»Was wollen Sie! Es ist nicht alles eitel Gold in dem Metier. Man bemüht sich, die Gesellschaft vor Gefahren zu bewahren, die einem wenigstens die Wertschätzung unserer Mitbürger einbringen müßte. So wie ich vor Ihnen stehe, bin ich von sieben Verbrechern, den schlimmsten Frankreichs, zum Tode verurteilt worden. Ich habe sie geschnappt, und sie haben geschworen, daß ich nur durch ihre Hand sterben würde – es sind Leute, die gemeinhin ihr Wort halten. Wo stecken die Kerle? Vier sind auf Cayenne

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