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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Verbrechens zu verwischen und uns falsche Spuren zu hinterlassen, trotz des anbrechenden Tages, trotz der immer größer werdenden Gefahr einer Entdeckung, noch einmal verzweifelt nach dem Geschriebenen zu suchen statt zu fliehen. Erneut durchsucht er die Möbel seiner Frau, die Schubfächer, die Bücher in der Bibliothek. Umsonst.
    Also steigt er ins zweite Stockwerk hoch. Schon hat er die Axt in die Truhe geschlagen, als vom Garten her ein Schrei ertönt. Er läuft zum Fenster. Was sieht er?
    Philippe und das Tönnchen stehen am Flußufer unter den Weiden neben dem Leichnam.
    Können Sie sich denken, was für einen Schreck der Mörder bekommen haben muß?
    Ab jetzt gilt es keine Sekunde mehr zu verlieren, er hat bereits zu lange gewartet. Die Gefahr ist da, sie ist schrecklich. Es wird bereits Tag, das Verbrechen ist entdeckt, gleich wird man kommen, er hat nichts bei sich. Er muß fliehen, sofort, das Risiko eingehen, gesehen zu werden, überrascht, ja festgenommen zu werden.
    Er hastet die Treppe herab, stopft sich die Taschen voller Geldscheine, packt Guespins blutbesudelte Weste, die er später über die Brücke in den Fluß werfen wird, und flieht durch den Garten. Er vergißt jede Vorsicht, ist außer sich, voller Blut, er rennt, setzt über den Graben und wird dabei von dem Tönnchen gesehen. Er verschwindet im Wäldchen von Mauprévoir, wo er seine Kleider wieder in Ordnung bringen will.
    Für den Augenblick ist er gerettet. Aber er hat den Brief nicht, der eine Anklage enthält, der, das können Sie mir glauben, eine Aufklärung seiner Verderbtheit und seiner verbrecherischen Praxis enthalten dürfte.
    Denn er hat ihn nicht gefunden, diesen Brief, aber wir werden ihn finden; wir brauchen ihn, um Monsieur Domini zu überzeugen; wir brauchen ihn, um unseren Verdacht Gewißheit werden zu lassen...«
    * * *
    E in langes Schweigen folgte der Erklärung des Beamten der Sûreté. Vielleicht suchten seine Zuhörer nach Einwänden. Schließlich meinte Doktor Gendron:
    Â»Ich verstehe bei der Sache nur Guespins Rolle nicht.«
    Â»Ich auch nicht«, erwiderte Lecoq. »Und hier liegt der Pferdefuß meines Systems der Verbrechensrekonstruktion. Entweder habe ich recht oder nicht. Bei diesem System gibt es keine Halbwahrheiten. Alles oder nichts. Wenn ich mit meiner Auffassung im Recht bin, dann ist Guespin nicht an dem Verbrechen beteiligt – jedenfalls nicht direkt. Wenn ich mich jedoch irre...«
    Monsieur Lecoq hielt inne. Es sah so aus, als lauschte er einem Geräusch, das aus dem Garten kam.
    Â»Aber ich irre mich nicht«, ergriff er wieder das Wort, »denn ich habe gegen den Comte noch ein anderes belastendes Indiz, von dem ich Ihnen bisher nichts erzählt habe.«
    Â»Oh!« meinte der Doktor.
    Â»Zwei Gewißheiten sind besser als eine, und ich zweifle immer. Nun, als mich der Herr Friedensrichter für Augenblicke allein gelassen hatte, habe ich François, den Kammerdiener des Comte, gefragt, ob er genau wisse, wieviel Paar Schuhe sein Herr besitze. Er wisse es, hat er mir geantwortet und mich zu der Kammer geführt, wo die Schuhe aufbewahrt werden. Es fehlten ein Paar Schaftstiefel aus russischem Leder, die der Comte de Trémorel – François war sich dessen ganz sicher – am Morgen getragen hatte. Ich habe sorgfältig nach diesen Schuhen gesucht und sie nicht gefunden.
    Und dann war auch die Krawatte – blau mit weißen Streifen – verschwunden. Auch die hatte der Comte an diesem Tag getragen. Mir scheint«, fuhr Lecoq fort, »daß die Fakten klar genug sind und wir nun die Ereignisse erforschen können, die dazu geführt haben, daß...«
    Schon seit einiger Zeit hatte Monsieur Lecoq heimlich nach draußen geschaut.
    Plötzlich sprang er wortlos und wie eine Katze, die gerade im Begriff ist, sich auf die Maus zu stürzen, auf das Fensterbrett des offenen Fensters und von dort in den Garten.
    Fast gleichzeitig hörte man das Geräusch des Herunterspringens, einen unterdrückten Aufschrei, einen Fluch, dann das Stampfen eines Handgemenges.
    Der Doktor und Vater Plantat waren zum Fenster geeilt: Der Tag brach an, die Bäume wiegten sich im frischen Morgenwind, die Gegenstände begannen sich im weißlichen Dunst, der in Sommernächten über der Seineebene liegt, allmählich abzuzeichnen.
    Mitten auf dem Rasen erblickten der Arzt und der

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