Das Verbrechen von Orcival
spielte.
»Aber..., was...«, stammelte Mià Fancy.
»Was wird aus dir? Oh, ich verlasse dich nicht einfach so schnöde, ich will nicht, daà du dich morgen in der Gosse wiederfindest. Die Wohnung hier ist auf deinen Namen gemietet, das Mobiliar gehört dir, und darüber hinaus habe ich auch an dich gedacht. In meiner Tasche habe ich fünfhundert Louis, das ist mein ganzes Vermögen, ich vermache es dir.«
Und indem er die Kellner im Restaurant nachmachte, schob er ihr auf einem Teller seine letzten zehn Tausendfrancscheine über den Tisch.
Sie stieà sie entsetzt zurück.
»Ja, ich weië, sagte er, »du bist ein gutes Mädchen, aber wenn ich dir fünfhundert Louis gebe, dann kannst du sie auch annehmen. Mach dir um Himmels willen keine Sorgen.«
»Aber du, hast du denn noch Geld?«
»Ich habe noch...« Er hielt inne, griff in seine Tasche, zählte das Geld im Portemonnaie, was er in seinem ganzen Leben noch nie getan hatte.
»Guter Gott! Da sind ja noch dreihundertvierzig Francs, mehr, als ich brauche; bevor ich verschwinde, will ich deinen Domestiken zehn Louis geben, sie waren mir gegenüber stets zuvorkommend.«
»Und was wirst du dann tun?«
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, strich sich nachlässig den gepflegten Bart und sagte: »Ich werde mir eine Kugel durch den Kopf jagen.«
»Oh!« schrie sie entsetzt auf.
Hector schien es, als zweifle die junge Frau. Er holte eine kleine Pistole mit Elfenbeingriff aus der Tasche und hielt sie ihr hin.
»Siehst du dieses Spielzeug? Nun, wenn ich von hier aufbreche, werde ich irgendwohin gehen, egal, wo, ich halte mir die Pistole an die Schläfe«, er machte die entsprechende Geste, »ich drücke auf den Abzug, der Rest ist Schweigen.«
Sie schaute ihn aus schreckgeweiteten Pupillen an. Doch gleichzeitig bewunderte sie ihn. Sie war verblüfft über soviel Entschlossenheit, soviel Gleichmut, soviel rüder Sorglosigkeit. Was für eine superbe MiÃachtung des Lebens! Sein Vermögen verschleudern und sich dann umbringen, ohne Geschrei, ohne Klagen, ohne Bedauern â das kam ihr wie ein Heroismus ohnegleichen vor. Und in ihrer Begeisterung schien ein neuer Mensch vor ihr zu entstehen, unbekannt, schön, strahlend, verführerisch. Sie fühlte unendliche Zärtlichkeit für ihn; sie liebte ihn, wie sie ihn nie zuvor geliebt hatte.
»Nein!« schrie sie. »Nein, das wirst du nicht tun!« Sie stürzte sich auf ihn. »Das wirst du nicht tun, versprich es mir, schwöre es mir. Ich liebe dich doch, ich liebe dich... Wir werden glücklich miteinander sein. Du hast immer auf groÃem Fuà gelebt, du weiÃt nicht, wieviel zehntausend Francs sind, aber ich, ich weià es. Davon kann man lange leben; wir können alles Unnütze verkaufen, die Pferde, den Wagen, meine Diamanten, das ist mindestens dreihunderttausend wert â ein Vermögen...«
Der Comte de Trémorel schüttelte entzückt lächelnd den Kopf. Ja, er war entzückt, seine so köstlich gekitzelte Eitelkeit erblühte unter der Wärme dieser Leidenschaft, die aus Mià Fancys schönen Augen sprang. So sehr liebte man ihn also! Und genauso tief würde man ihn bedauern. Was für ein Mensch dieser Welt verlustig ging!
»Wir verstecken uns in einer kleinen Wohnung am anderen Ende von Paris«, beschwor ihn Jenny. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für hübsche Häuschen mit gepflegten Vorgärten man für tausend Francs auf den Hügeln von Belleville findet.«
Nein, das konnte er sich in der Tat nicht vorstellen. In Belleville mit einer Grisette! Beinahe brutal packte er Mià Fancy am Arm und stieà sie von sich.
»Seelengegacker«, sagte er in seinem gewohnten Tonfall. »Ein Mann meines Namens versteckt sich nicht, er stirbt.«
Er wollte gehen, aber entschlossen stellte sich Jenny vor die Tür.
»Du wirst nicht gehen, hörst du«, schrie sie, »ich liebe dich, wenn du noch einen Schritt tust, rufe ich die Dienstboten!«
Der Comte de Trémorel zuckte mit den Schultern. »Um so besser! Dann erschieÃe ich mich eben hier.« Mit diesen Worten hielt er den Pistolenlauf an seine Schläfe. »Wenn du um Hilfe rufst und nicht den Weg freigibst, drücke ich ab.«
Mià Fancy rief nicht. Sie wimmerte nur, bevor sie ohnmächtig zu Boden sank.
»Na endlich«, sagte Hector und steckte die
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