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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Kopfschmerzen, ihm war kalt.
    Wenn ich diese Nacht nicht sterben sollte, dachte er, bin ich morgen erkältet. Dieser Gedankenblitz ließ ihn zwar nicht etwa lächeln, gab ihm aber immerhin das Gefühl, ein starker Mann zu sein.
    Er war in die Rue Dauphine eingebogen und suchte nach einem Hotel. Dann fiel ihm ein, daß es ja noch nicht einmal sieben sei, und um diese Zeit nach einem Zimmer zu fragen, könnte vielleicht einen gewissen Verdacht erregen. Er überlegte, daß er noch hundertvierzig Francs in der Tasche hatte, und entschloß sich, essen zu gehen. Das wäre seine Henkersmahlzeit. Und so betrat er in der Rue Contrescarpe ein Restaurant.
    Doch vergebens bemühte er sich, die Beklemmung abzuschütteln, die immer stärker wurde. Er begann zu trinken. Er leerte drei Flaschen, ohne daß er fröhlicher wurde. Im Wein – obwohl er ausgezeichnet war und der teuerste des Restaurants, immerhin fünfundzwanzig Francs die Flasche – fand er die Bitternis seiner Überlegungen wieder. Und die Kellner schauten überrascht auf diesen düsteren, schwermütigen Esser beziehungsweise Trinker, der die Speisen, die man ihm brachte, kaum anrührte und mit jedem Glas, das er leerte, immer trübsinniger wurde.
    Die Rechnung seines Essens belief sich auf neunzig Francs. Er legte seinen letzten Hundertfrancschein auf den Tisch und verließ das Lokal.
    Es war noch nicht spät, und so ging er noch in eine Wirtschaft, die voller trinkender Studenten war, setzte sich an einen Tisch im Hintergrund der Schankstube, noch hinter den Billardtischen. Er bestellte Kaffee und trank zwei, drei Kännchen.
    Während des Essens hatte er gehörig dem Alkohol zugesprochen, und zu jedem anderen Zeitpunkt wäre er davon betrunken geworden, aber der Alkohol war weit davon entfernt gewesen, ihn aufzuheitern, sondern hatte ihn zur Überreizung geführt, was durch den Kaffee noch verstärkt wurde. Er saß an seinem Tisch, den Kopf zwischen den Händen, als ein Kellner durch den Raum lief und ihm eine Zeitung hinhielt. Mechanisch griff er danach, schlug sie auf und las: ›Im Augenblick der Drucklegung teilt man uns das Hinscheiden einer sehr bekannten Persönlichkeit mit, die, so hat man uns wissen lassen, die Absicht bekundet habe, sich umbringen zu wollen. So seltsam sind die Tatsachen, die uns berichtet wurden, daß wir, da uns die Zeit fehlt, Nachforschungen einzuholen, die Details morgen mitteilen werden.‹
    Diese wenigen Zeilen platzten wie Granaten im Kopf des Comte de Trémorel.
    Das war seine Todesanzeige, die erbarmungslos von diesem Tyrannen, dem er sich selbst jahrelang als willfähriger Zuträger ausgeliefert hatte, geschrieben worden war: der öffentlichen Meinung.
    Â»Wird man denn niemals aufhören, sich mit mir zu beschäftigen!« murmelte er in dumpfem Zorn und gewiß zum erstenmal ernsthaft in seinem Leben. Dann sagte er entschlossen: »Auf denn, machen wir dem ein Ende.«
    Fünf Minuten später klopfte er an die Tür zum Hotel du Luxembourg. Von dem Pagen zum besten Zimmer des Hauses geführt, ließ er Feuer im Kamin machen und verlangte Schreibzeug. Sein Entschluß stand jetzt so fest wie am Morgen.
    Er setzte sich an den Tisch neben den Kamin und schrieb mit fester Hand die für den Polizeikommissar bestimmte Erklärung.
    â€ºMan möge niemand mit meinem Tod belasten...‹, begann er und endete damit, daß er empfahl, den Eigentümer des Hotels aus seinem Gläubigerüberschuß zu entschädigen. Die Uhr zeigte fünf nach elf, er legte die Pistole auf den Kaminsims und murmelte:
    Â»Um Mitternacht mache ich Schluß.«
    Er ließ sich in seinen Sessel fallen, der Kopf lag auf der Lehne, die Füße hatte er gegen das Kamingitter gedrückt. Warum tötete er sich nicht auf der Stelle? Warum gewährte er sich diese Frist von einer Stunde Angst und Qualen?
    Er hätte es nicht zu sagen gewußt. Er versuchte, an verschiedene Ereignisse in seinem Leben zu denken, und war über die Geschwindigkeit erstaunt, mit der ihn diese Ereignisse heimgesucht hatten, so daß er sich jetzt in diesem elenden Zimmer eines Stundenhotels wiederfand. Ihm war, als habe er sich gestern erst seine ersten hunderttausend Francs geborgt. Aber was nutzt dem Mann, der auf den Abgrund zurollt, die Kenntnis der Ursachen seines Sturzes!
    Der große Zeiger der Uhr hatte die Sechs überschritten. Noch einmal

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