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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Blicke erdulden müssen, die viel grausamer als eine Pistolenkugel wären. Man hat kein Anrecht darauf, sein Publikum zu täuschen, wenn man seinen Selbstmord angekündigt hat: man bringt sich um.
    Er erinnerte sich eines hübschen Fleckchens Erde im Wald von Viroflay, wo er sich einmal duelliert hatte; dort würde er sich töten, und so machte er sich bei Tagesanbruch nach dorthin auf den Weg. Wie am Vorabend war auch diesmal das Wetter herrlich, und immer wieder begegneten ihm Gruppen von Frauen und Männern, deren fröhliches Lachen noch lange in ihm nachklang. In den Wirtschaften am Ufer saßen unter dem Laubdach gewaltiger Eichen die Leute und tranken, wobei sie laut mit ihren Gläsern klirrten und frohgemut lärmten. Alle diese Menschen wirkten glücklich und zufrieden, und dieser Frohsinn schien Hector in seiner gegenwärtigen Misere wie eine Herausforderung. Säße er doch statt ihrer dort! Er hatte auf einmal Durst, unerträglichen Durst.
    Kaum war er an der Brücke von Sèvres angekommen, bog er von der Straße ab, kletterte zur Seine hinunter, kauerte sich ans Ufer, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und trank.
    Unendliche Müdigkeit überfiel ihn. Das Ufer war grasbewachsen, er setzte sich, vielmehr ließ er sich ins Gras fallen. Wehleidige Hoffnungslosigkeit hatte ihn gepackt, der Tod schien ihm in seiner Gleichgültigkeit fast so etwas wie eine Erlösung zu sein; fast freudig dachte er daran, daß sein Denken bald zu Ende sein, daß er nicht mehr länger leiden würde.
    Ãœber ihm, einige Meter von der Straße entfernt, stand ein Restaurant, dessen Fenster geöffnet waren.
    Man konnte ihn von dort aus sehen, genausogut wie von der Brücke, aber das störte ihn nicht, ihn störte jetzt nichts mehr. Hier so gut wie anderswo, sagte er sich. Schon spannte er seine Pistole, als er hörte, wie ihn jemand rief: »Hector! Hector...!«
    Mit einem Satz war er auf den Beinen, versteckte seine Waffe und versuchte herauszukriegen, wer da seinen Namen gerufen hatte. Die Uferböschung herab kam ein Mann auf ihn zugelaufen. Es war ein Mann seines Alters, vielleicht ein wenig zu dick, aber dennoch wohlgestaltet, mit heiterem Gesicht, in dem große dunkle Augen offen und mitfühlend blickten; er war einer dieser auf den ersten Blick sympathischen Menschen, die man von Herzen liebhat, wenn man sie acht Tage kennt. Hector erkannte ihn. Es war ein alter Freund, ein Schulkamerad; früher waren sie sehr oft zusammen gewesen, aber der Comte hatte ihn nach Beendigung der Schule seiner nicht mehr für würdig befunden, und so hatten sie sich immer weniger gesehen, bis sie sich schließlich ganz aus den Augen verloren hatten.
    Â»Sauvresy!« rief er erstaunt.
    Â»In eigener Person«, erwiderte der junge Mann, der rotgesichtig und atemlos bei ihm ankam. »Seit zwei Minuten schon beobachte ich dich, was machst du bloß?«
    Â»Ich..., nichts«, antwortete Hector verwirrt.
    Â»Wahnsinnskerl!« entgegnete Sauvresy. »Also stimmt es, was man mir bei dir zu Hause erzählt hat. Ich war heute morgen dort...«
    Â»Und was hat man dir gesagt?«
    Â»Daß man nicht weiß, was aus dir geworden ist, daß du am Tag zuvor deine Mätresse verlassen hast und dir eine Kugel durch den Kopf schießen wolltest. Eine Zeitung hat deinen Tod schon in allen Einzelheiten beschrieben.«
    Diese Nachricht schien dem Comte de Trémorel furchtbar peinlich zu sein.
    Â»Siehst du«, sagte er weinerlich, »ich muß mich ja umbringen.
    Â»Warum? Um der Zeitung die Blamage einer Richtigstellung zu ersparen?«
    Â»Man wird mich für feige halten...«
    Â»Sehr hübsch! Deiner Meinung nach ist man demnach gehalten, eine Dummheit, die man verkündet hat, auch zu begehen! Lächerlich. Warum willst du dich umbringen?« Hector überlegte. Bot sich hier vielleicht eine Möglichkeit, am Leben zu bleiben?
    Â»Ich bin ruiniert«, antwortete er traurig.
    Â»Aha, und deshalb muß man gleich... Hör mal, mein Lieber, weißt du, was du bist? Verrückt! Ruiniert..., das ist ein Unglück, aber wenn man in unserem Alter ist, schafft man sich ein neues Vermögen an. Und so ruiniert, wie du sagst, kannst du gar nicht sein, denn ich habe ein jährliches Einkommen von hunderttausend Pfund.«
    Â»Hunderttausend Pfund...«
    Â»Unter uns, mein ganzes Vermögen steckt in Grund und Boden, die hunderttausend

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