Das Verbrechen von Orcival
schlimmsten Exzesse übersteht, die mit derselben Reitpeitsche ihre Mätressen â die schönsten, extravagantesten Pariser Geschöpfe â wie ihre Pferde â die edelsten Renner Englands â zähmen.
In ihren hoffnungslosen Träumen hatte sie sich oft vorzustellen versucht, wie dieser furchtbare Comte de Trémorel wohl sein mochte. Gewià verfügte er über die Qualitäten, nach denen sie sich so sehnte; er muÃte der Held sein, der sie in die Anne nehmen und weit weg von ihrem Mann entführen würde. Ins Land der Abenteuer. Und nun stand dieser Mann vor ihr.
»Gib Hector doch die Hand«, sagte Sauvresy.
Sie reichte ihm die Hand, Trémorel schüttelte sie leicht, und ein angenehmer Schauder durchrieselte sie.
Sauvresy hatte sich in einen Sessel gesetzt.
»WeiÃt du, Berthe«, sagte er, »unser Freund Hector ist erschöpft durch das Leben, das er führt. Man hat ihm Ruhe verordnet, und diese Ruhe wird er hier finden.«
»Aber mein Lieber, fürchtest du nicht, daà sich Monsieur le Comte ein wenig langweilen wird?« erwiderte Berthe. »Langweilen? Wieso?«
»Valfeuillu ist sehr einsam, wir sind bescheidene Landleute...
Berthe redete nur, um etwas zu sagen und das Schweigen zu brechen, das auf ihr lastete. Und um Trémorel zu einer Antwort zu bewegen und seine Stimme zu hören.
Während sie sprach, beobachtete sie, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Gewöhnlich verursachte ihre Schönheit bei allen, die sie zum erstenmal sahen, sichtliches Entzücken. Er blieb unbeeindruckt.
Ah! Natürlich verbarg sich hinter dieser Kühle, dieser köstlichen Gleichgültigkeit der blasierte Grandseigneur, der Kenner, der alles ausgekostet, alles probiert, alles genossen hatte. Und wenn er sie nicht bewunderte â sie bewunderte ihn um so mehr. Was für ein Unterschied, dachte sie, zu diesem ungehobelten Sauvresy, der sich über eine Nichtigkeit wundert, dessen Gesichtsausdruck alle seine Empfindungen widerspiegelt, dessen Blick schon ankündigt, was er sagen will, bevor er den Mund aufgemacht hat!
Berthe irrte sich. Hector war nicht so kalt und unempfindlich, wie sie vermutete. Hector war schlichtweg müde. Die während der letzten vierundzwanzig Stunden bis zum ZerreiÃen gespannten Nerven entkrampften sich nun. Die Folge war, daà er sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte. Schon bald bat er um die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen.
Mit Berthe allein zurückgeblieben, erzählte Sauvresy seiner Frau die bedauernswerten Umstände, die den Comte nach Valfeuillu geführt hatten. Als ernsthafter Freund vermied er jedes Detail, das Trémorel hätte lächerlich erscheinen lassen.
»Er ist ein groÃes Kind, ein Narr«, sagte er, »seine Nerven sind angegriffen, wir werden ihn pflegen und heilen.«
Noch nie hatte Berthe ihrem Gatten so aufmerksam zugehört. Sie schien sein Vorhaben zu billigen, aber in Wirklichkeit bewunderte sie Trémorel. Wie seine Geliebte Jenny war sie von einem solchen Verhalten fasziniert: Sein Vermögen durchbringen und sich danach töten.
Am nächsten Morgen teilte Sauvresy beim Frühstück seine Absicht mit, sich unverzüglich um die Angelegenheiten seines Freundes kümmern zu wollen. Hector gehörte zu den Naturen, denen vierundzwanzig Stunden genügen, um sich von einem schweren Schicksalsschlag zu erholen und die bittere Lektion, die ihnen das Leben erteilt hat, schnell wieder zu vergessen. Ein ausgiebiges Frühstück tat das übrige, um ihm seine weltmännische Haltung zurückzugeben. »Hurtig, hurtig«, meinte Sauvresy, nachdem er fertig gefrühstückt hatte, »ich muà los, wenn ich den Zug nicht verpassen will.«
»Ich begleite dich zum Bahnhof«, sagte Trémorel lebhaft. Das war nicht etwa ein freundschaftliches Anerbieten von ihm. Er wollte seinen Freund bitten, bei Jenny vorbeizuschauen.
Vom Fenster ihres Zimmers schaute Berthe den beiden Freunden nach, die, einander untergehakt, den Weg nach Orcival einschlugen. Welch ein Unterschied zwischen den beiden, dachte sie wieder. Mein Mann sagte eben, er wolle sich um die Angelegenheiten seines Freundes kümmern; und er wirkt tatsächlich nur wie ein Verwalter. Was für eine stattliche Erscheinung der Comte doch ist! Und dabei wird ihn mein Mann gewià verachten, weil er sich wegen Nichtigkeiten ruiniert hat. Aber so
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