Das verflixte 4. Schuljahr
Übergangszeugnis haben wieder einmal diejenigen, deren Eltern engagiert sind und die die finanziellen Mittel besitzen, Literatur zu erwerben und/oder Nachhilfe zu organisieren. Und wieder einmal sind wir bei dem Thema, das uns bereits die PISA-Studien vorgeworfen haben: In Deutschland ist mehr als in anderen Ländern die soziale oder ethnische Herkunft eines Menschen entscheidend für seinen weiteren Lebensverlauf. Und dies beginnt bereits in der Grundschule.
Alle anderen Kinder können sich eigentlich nur auf eine Vier vorbereiten, denn diese Aufgaben wurden im Unterricht behandelt. Alle anderen Noten sind für sie mehr oder weniger Glückssache. Eine effektive Vorbereitung auf Proben ist vom Grundsatz her eigentlich nicht möglich, da niemand genau weiß, was konkret abgefragt wird. Ganz im Gegensatz zu Prüfungen in anderen Lebensbereichen, wie etwa im Sport. Jedes Kind weiß dort im Vorfeld ganz genau, was es leisten muss, um beispielsweise das Abzeichen »Seepferdchen« zu erhalten, und kann sich gezielt darauf vorbereiten.
Bittet man 100 Lehrerinnen und Lehrer, einen von einem Kind verfassten Aufsatz zu bewerten, durchstreifen die Resultate ein und desselben Textes die gesamte Bandbreite der zur Verfügung stehenden Noten, vielleicht mit Ausnahme der Sechs. Wenige Lehrer geben dem Aufsatz eine Eins, mehr erteilen die Note Zwei, die absolute Mehrheit sieht den Aufsatz im Dreier-Bereich, immer noch viele geben eine Vier und wenige sogar eine Fünf.
Schlechte Noten und deren Folgen
Umfragen haben darüber hinaus ergeben, dass schulische Leistungen die Hauptursache sowohl für persönliche als auch für schulische Probleme der Schülerinnen und Schüler darstellen. Dies ist einerseits darin begründet, dass ein angestrebtes Ziel (zum Beispiel der Übertritt auf das Gymnasium) nicht erreicht wird, es liegt aber auch in den enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen, die viele Eltern an die Leistung ihrer Kinder und deren Bewertung stellen. Werden diese nicht erfüllt, kommt es zu familiären Problemen (zum Beispiel Ärger mit den Eltern, Fernsehverbot oder Ähnliches).
In der Regel sind die Eltern in Bezug auf die Schullaufbahn und den Schulabschluss ihrer Kinder motivierter als diese selbst. So nennen beispielsweise deutlich mehr Eltern als Schülerinnen und Schüler das Abitur als gewünschten Schulabschluss. Aus diesen unterschiedlichen Erwartungen im Elternhaus resultieren ein übertriebener Leistungsdruck, dem viele Schülerinnen und Schüler wegen permanenter Überforderung nicht gewachsen sind, und die bereits erwähnte Enttäuschung bei den Eltern. Diese Enttäuschung wiederum lassen sie ihre Kinder spüren, sodass das Familienklima unter den Noten leidet und innerfamiliäre Konflikte entstehen. Die Konsequenz ist ein erhöhter Leistungsdruck auf die Kinder, die sich somit in einem Teufelskreis befinden: Können sie dem erhöhten Druck nicht standhalten, enttäuschen sie ihre Eltern erneut, was wiederum Auswirkungen auf die Beziehung zueinander hat.
Kinder reagieren darauf beispielsweise mit Aggression, Kapitulation oder der Angst, ihre Eltern bei einer weiteren »schlechten Note« erneut enttäuschen und vielleicht mit noch schlimmeren Konsequenzen leben zu müssen. Mit dieser Angst gehen Schuldgefühle einher, die verschlechterte Situation in der Familie verursacht zu haben. (»Nur wegen mir ist meine Mutter jetzt sauer.«) Häufig werden diese Gefühle noch von den Eltern verstärkt, indem sie die Kinder gezielt auf die veränderte Sachlage hinweisen und diese unmittelbar mit den schulischen Leistungen in Verbindung bringen. (»Wegen deiner Fünf hab ich wieder zu rauchen angefangen.«)
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass es den meisten Eltern auch bei derartigen Fehlreaktionen einzig und allein um das Wohl und die Perspektive ihrer Kinder geht. Sie sind sich der tatsächlich dadurch ausgelösten Konsequenzen einfach nicht bewusst. Im Gegensatz zu einer von ihnen möglicherweise intendierten Leistungssteigerung ihres Kindes bewirken sie durch die oben genannten Maßnahmen jedoch im schlimmsten Fall Schulangst und ein damit verbundenes vollständiges Leistungsversagen ihres Kindes.
Caroline besucht die 3. Klasse und ist generell eine fleißige Schülerin, die ihre Hausaufgaben ohne Beanstandung erledigt und sich auch mündlich gut am Unterricht beteiligt. Ihr Lehrer hat ihr schon oft gesagt, dass sie den Stoff doch eigentlich versteht und er sich die stets schlechten Leistungen in
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