Das verfluchte Koenigreich
Er war fast noch ein Kind und Tania konnte die Flügel erahnen, die sich undeutlich unter seinen Kleidern abzeichneten.
Fleance hatte gerade das Wort ergriffen, als Tania in den Saal kam. »… da ich nun einmal durch den Tod meiner Eltern viel zu früh wichtige Entscheidungen treffen musste …«, begann er, doch als er Tania sah, verstummte er schlagartig.
Auch die anderen Lords und Ladys drehten sich jetzt nach ihr um und blickten sie ernst an. Eden wirkte bekümmert und Tania ahnte, wie schwer es ihr gefallen war, Graf Valentyne allein zu lassen.
Während sie sich im Saal umblickte, bemerkte sie das aufgewühlte Meer unter sich durch den durchsichtigen Glasboden unter ihren Füßen.
»Tania«, ermahnte sie Oberon mit hochgezogenen Augenbrauen. »Du darfst diesen Saal nicht betreten.«
»Aber ihr redet doch über mich«, protestierte Tania. Sie hörte die Schritte der nahenden Wächter hinter sich. »Ich möchte wissen, was hier geschieht.«
Lord Aldrich funkelte sie an. »Keiner außer den Herzögen des Elfenreichs oder ihren Vertretern darf diesen Saal betreten, wenn ein Konklave im Gang ist«, rief er mit dröhnender Stimme. »Verlasst diesen Raum, Prinzessin – das Gesetz verbietet die Anwesenheit Fremder.«
Tania trat einen Schritt vor, sodass sie außer Reichweite der Wächter war. »Wenn dieses Palaver meinetwegen stattfindet, dann habe ich auch das Recht, hier zu sein«, beharrte sie. »Ihr glaubt doch nicht, dass ich draußen rumsitze und Däumchen drehe, während ihr hier beschließt, was mit mir passieren soll?«
Lord Aldrich deutete mit dem Finger auf sie. »Das unziemliche Benehmen der Prinzessin beweist nur einmal mehr, was ich soeben zu bedenken gab, Mylords und Myladys – das Exil hat sie verwandelt – sie ist nicht mehr das Kind, das wir kannten, ehe die Zeit der großen Dämmerung anbrach. Ein Teil ihres Wesens ist sterblich.« Mit funkelnden Augen fügte er hinzu: »Wir dürfen unser Leben nicht aufs Spiel setzen für dieses … dieses Halbding!«
»Mäßigt Euch, Mylord«, wies Titania ihn zurecht und warf ihm einen eisigen Blick zu. »Hütet Eure Zunge – Ihr sprecht von meinem Kind.«
Lord Aldrich senkte den Kopf, entschuldigte sich aber nicht.
Tania schwieg eine Weile, eingeschüchtert von den feindseligen Blicken, die auf sie gerichtet waren. »Ich weiß nicht«, gab sie schließlich zu. »Ich weiß selbst nicht, wer oder was ich bin.«
»Ein wahrhaft beunruhigendes Geständnis«, bemerkte Lord Herne, ein breitschultriger Mann mit wallendem rotem Bart und eisblauen Augen. Er warf Tania einen prüfenden Blick zu. »Denn allein in Eurer Seele liegt die Antwort verborgen. Über dieses Rätsel debattieren wir heute – seid Ihr Elfe oder Sterbliche?«
»Sie ist beides«, erwiderte Titania. »Und bevor Ihr sie verurteilt, Mylords und Myladys, so bedenkt, dass meine Tochter niemals den Zauberkönig besiegt hätte, wenn dem nicht so wäre.«
»Ja, wahrhaftig«, stimmte Eden zu. »Mein Gemahl wusste von der Legende: Weder ein Elf noch ein Sterblicher hätte den bösen Zauberkönig zu besiegen vermocht. Wäre meine Schwester nicht, was sie ist, so säßen wir heute nicht hier, sondern hätten uns Lyonesse unterwerfen müssen.«
»Gewiss, und für ihre Hilfe müssen wir alle dankbar sein«, sagte Lady Kernow von Dinsel, eine Frau mit langem grauem Haar und einem strengen Gesicht. »Doch nun sehen wir uns einer neuen Gefahr ausgesetzt – einer Krankheit, die von Sterblichen eingeschleppt wurde.« Sie sah Tania stirnrunzelnd an. »Tragen alle Sterblichen diese Krankheit in sich, Prinzessin?«
»Ich … ich weiß nicht …«, stotterte Tania.
Die Königin kam ihr zu Hilfe. »Alle Sterblichen können dieser Krankheit zum Opfer fallen«, erklärte sie. »So wie jeder im Elfenreich dem Fluch der dunklen Künste verfallen kann. Aber kein Sterblicher trägt den Keim der Krankheit in sich – sie dringt von außen in ihre Körper ein.« Titania drehte sich um und funkelte die Versammlung an. »Und ich versichere Euch, Mylords und Myladys, wenn Tania die Krankheit in sich trüge, so hätten wir das inzwischen bemerkt. Tania ist wohlauf und wir haben nichts von ihr zu befürchten.«
»Natürlich verteidigt Ihr Eure geliebte Tochter«, sagte Lord Brython. »Und ich zweifle auch nicht an Euren Worten, aber Ihr wisst so gut wie ich, dass Prinzessin Tanias Gabe – ihre Fähigkeit, zwischen den Welten zu wandeln – eine ständige Bedrohung für uns darstellt. Wenn wir ihr weiterhin erlauben,
Weitere Kostenlose Bücher