Das verfluchte Koenigreich
Tania schmunzelte über das Aufblitzen dieser unverhofften Erinnerung.
Am Fuß der Treppe zeichnete sich ein Torbogen ab. Connor hielt sich an Tanias Seite, die Taschenlampe ins Dunkel gerichtet. Schwarze Steinwände glitzerten im Lichtschein und ein gepflasterter Weg tauchte vor ihnen auf. Rathinas Pfeifen klang jetzt ganz nahe.
Tania ging durch den Torbogen und blickte sich verwundert um. Die Schwärze war hier weniger undurchdringlich und sie konnte zahlreiche Gebäude ringsum erkennen. Es waren gewöhnliche Häuser und Gehöfte mit spitzen Ziegeldächern, hohen Schornsteinen und Sprossenfenstern, die eine gewundene Pflasterstraße säumten. Hier und da ragten kleine Türme und Erker auf. Überall gähnten tiefe Fensterlöcher hinter schwarzen Gittern und steinerne Wendeltreppen führten zu erhöhten Eingängen hinauf. Die Türen waren tief ins Mauerwerk eingelassen. An den Wänden rankte Efeu hoch und schwarze Rosen zierten die Fenster. Alles hier war schwarz, als sei das ganze Dorf in Pech getaucht und dann nass und glänzend unter einem tiefschwarzen Nachthimmel zurückgelassen worden.
Tania blickte zum Dach dieser riesigen Höhle auf. Aber in der Dunkelheit konnte sie nicht abschätzen, wie hoch das Gewölbe war – es konnten wenige Meter oder tausend Meilen sein.
Auch im Dorf war es geisterhaft still. Tania fielen die düsteren Ruinen wieder ein, die sie im Traum überflogen hatte.
»Ein trauriger Ort«, murmelte Rathina. »Es heißt, dass Caer Regnar Naal in alter Zeit ein Ort des Lichts und der Freude war. Aber ich weiß nicht, wer hier einst lebte oder was mit ihnen geschah.« Leise begann sie zu singen:
Die lebendige Erde schuf mich, ich ruhte darunter,
und leuchtend wie Sterne waren die Blumen,
der Mutterhügel schloss mich ein, schlafend lag ich
bis zu jenem Tag, an welchem ich heimkehrte
in einen geschmückten Saal nach Caer Regnar Naal.
Connor ging über die Straße und berührte vorsichtig eine Rosenblüte. Dann drehte er sich um und sagte zu Tania: »Sie fühlt sich echt an. Aber das kann doch nicht sein. Hier unten? Ohne Tageslicht?«
»Wann kapierst du endlich, dass diese Welt voller Magie steckt, Connor«, erwiderte Tania. »Rathina? Hast du eine Ahnung, wo der Saal der Archive sein könnte?«
»Nein, Schwester«, sagte Rathina. »Aber er dürfte nicht schwer zu finden sein. Spürst du die Nähe des Isenmort-Portals nicht?«
»Nein, bis jetzt noch nicht.«
»Das wird sich bald ändern, wenn wir dem Tor näher kommen.«
Sie setzten ihren Weg fort. Connor richtete die Taschenlampe auf eine Skulptur, die auf einem Sockel in der Mitte des Dorfplatzes stand.
Tania zuckte zusammen, als das grelle Licht auf die Gestalt einer Rieseneule fiel, die im Begriff war, ihre Schwingen auszubreiten und von einem Ast aufzufliegen. Jede einzelne ihrer Federn war kunstvoll gemeißelt und ihre Raubvogelaugen wirkten beinahe lebendig.
»Und wo geht’s jetzt lang?«, fragte Connor und leuchtete mit der Taschenlampe in die Gassen, die vom Marktplatz abzweigten.
»Schließ die Augen, Tania«, sagte Rathina. »Fühlst du das Brennen des Isenmort?«
Tania gehorchte. »Nein, ich spüre immer noch nichts«, sagte sie. »Alles ganz normal – oh, halt, warte mal.« Sie riss die Augen auf – ihre Schläfen pochten, es fühlte sich an wie ein Anflug von Kopfschmerz. »Dort entlang«, sagte sie und wies ihnen den Weg.
Die Straße unterschied sich nicht von den anderen des unterirdischen Dorfs, aber am anderen Ende ragte ein großes Gebäude über den Dachgiebeln auf. Es war ein massiver, schmuckloser Turm. Er war aus scharfkantigen Steinen errichtet worden und vorn prangte eine riesige graue Eisentür mit schweren Eisenriegeln und einem massiven Türknauf.
Je näher sie kamen, desto stärker wurde der Druck hinter Tanias Augen und jetzt sah sie auch, dass die Eisentür mit rätselhaften, unheimlichen Zeichnungen bedeckt war. Der Lichtkegel aus Connors Taschenlampe glitt über die Gestalten: Tausendfüßer, Tintenfische, Spinnen, Krabben und Würmer.
»Fürchterlich«, murmelte Rathina und wich zurück. »Ein wahrer Albtraum!«
»Das kannst du laut sagen«, stieß Connor hervor. »Welches kranke Hirn hat sich das denn ausgedacht?«
»Wie du schon sagtest«, murmelte Tania, »die Tür soll die Leute fernhalten.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn und betrachtete die gruseligen Zeichnungen. »Kriegt ihr sie auf?«
Connor sah Rathina an. »Was meinst du?«
Rathina zog eine Grimasse, aber dann nickte
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