Das vergessene Zepter
ihn gemeinschaftlich verwundet hatten. Er konnte diese Wunde auch als Ehrenzeichen tragen, weil er immerhin nicht in Kuellen geblieben war, verschanzt hinter einem Aktenberg, umzäunt von den nur scheinbar bedeutsamen Entscheidungen der Alltagswelt.
Langsam knüllte Rodraeg das Pergament mit dem Brieffragment zusammen und warf es in die unterste Schreibtischschublade.
In der obersten Schublade lagen Reyrens Quellenkiesel, sein altes Kuellener Notizpergamentbuch und sein Rasierzeug. Nachdenklich betrachtete er diese Gegenstände.
Kurz schnappte er vor der Haustür noch frische Nachtluft, dann ging er nach oben zum Schlafen.
3
Das Blut von Fremden
»Was hat sich eigentlich auf dem Kontinent ereignet, während wir unterwegs waren?« fragte Rodraeg, als sie alle am Morgen gemeinsam dampfend warme Brötchen, frische Milch und selbstgemachte Marmelade frühstückten. »Gibt es noch irgendwelche Enthüllungen über den Affenmenschenfeldzug?«
»Nichts mehr«, mampfte Cajin. »Es ist, als wäre dort nie etwas geschehen. Die Ãberlebenden sind zurück und in medizinischer Versorgung. Niemand spricht mehr darüber. Glaubt man der Königin, war das Ganze ein Erfolg.«
»Erzähl mal von Chlayst«, forderte Naenn ihn auf.
»Richtig. Die spannendsten Geschichten hört man mittlerweile aus Chlayst und Furbus. Besonders, wenn man am Hafen arbeitet und mit Schiffen zu tun hat, die aus Brissen kommen. Chlayst ist inzwischen wohl dermaÃen vergiftet, daà sich kaum noch jemand dort aufhält. Die Bewohner lagern in Zelten und auf FlöÃen in den Mooren und Sümpfen ringsum und warten darauf, daà ein Wunder geschieht oder wenigstens der Wind sich dauerhaft dreht.«
»Eigentlich seltsam, daà der Kreis uns noch nicht nach Chlayst geschickt hat«, sagte Rodraeg nachdenklich. »Wahrscheinlich gäbe es dort nichts für uns zu tun. Ein Sumpf ist giftig geworden, ohne menschliches Verschulden.«
»Jedenfalls haben sich etliche von der Krone enttäuschte Chlayster auf die Seite der Banditen geschlagen, die Furbus unsicher machen«, fuhr Cajin fort.
»Die Heugabelmänner«, bestätigte Bestar.
»Genau. Nach einem Gerücht, das ich vorgestern aufgeschnappt habe, handelt es sich jetzt um mehr als fünfhundert Mann.«
»Fünfhundert!« rief Rodraeg aus. »Alins hat uns erzählt, daà sie schon eine königliche Kompanie besiegt haben â aber mit fünfhundert Mann ist das ja schon ein regelrechtes Heer.«
»Richtig.« Cajin lieà es sich weiter schmecken. »Furbus hat ihnen nicht mehr allzuviel entgegenzusetzen. Chlayst ohnehin nicht. Könnte sein, daà die Jahrhunderte des geeinten Kontinents gezählt sind.«
»Unglaublich.« Rodraeg war sehr beunruhigt. Der Affenmenschenfeldzug. Der Seekrieg zwischen Wandry und Skerb. Kämpfe in Furbus und Chlayst. Der alte Fuchs Riban Leribin hatte die Gründung von Kreis und Mammut mitten in eine Zeit der Krisen und Umbrüche gelegt. Das war selbstverständlich kein Zufall. »Alins hatte uns auch gesagt, daà die Heugabelmänner inzwischen die Gegend zwischen den Gebirgen Wildbart und Nekeru kontrollieren, deshalb muÃte ich gestern, als wir Gerimmirs Brief erhielten, kurz daran denken.« Rodraeg zählte an drei Fingern ab: »Wir waren beim Schwarzwachs, wo die Königin wegen neuer Rüstungen schürfte. Wir waren in Wandry, wo ein Seekrieg schwelt. Und jetzt sollen wir zum Wildbart, wo die Konflikte der Ostküste zumindest geographisch ihre Grenze haben.«
»Fehlt ja nur noch das Affenmenschengebiet«, sagte Hellas. »Und zu guter Letzt reisen wir noch dem Geisterfürsten in die Vergangenheit hinterher und zerschlagen wie einst König Rinwe das Reich der Dunkelheit.«
»Jau!« rief Bestar begeistert. »Das wär doch mal âne Sache! Und wenn das ganze Land sich langsam ⦠veruneinigt, oder wie immer man das nennt, dann können wir es doch wieder vereinigen!«
»Indem wir allen, die ausscheren, ein paar Kopfnüsse verpassen«, schmunzelte Eljazokad.
»Ganz genau!« bekräftigte Bestar.
»Und irgendwann heiÃt die Zeitrechnung dann nicht mehr nach der Königskrone«, schlug Cajin vor, »sondern n. M. â nach dem Mammut.«
»Ganz genau!«
»Warum nicht gleich n. B. â nach Bestar?« grinste nun auch Hellas.
»Ja â warum denn nicht?«
Weitere Kostenlose Bücher