Das vergessene Zepter
einigermaÃen erkennen konnte, wohin man trat, und je weiter bergauf der Pfad ins Gebirge führte, desto felsiger und weniger schlammig wurde auch der Untergrund. Naenn bewegte sich hier anders als in der Stadt. Von Bäumen umgeben, dem Rauschen von Sommerwind in den ädrigen Blättern, trat sie freier auf, weniger geduckt und auf sich selbst zurückgeworfen. Obwohl ihre Heimat, der groÃe und finstere Larnwald, nicht gebirgig war, fühlte sie sich hier mit der Gegend vertraut. Das Mondlicht lieà ihre grünen Augen schimmern wie Smaragde.
Der Schemenreiter auf seinem vollkommen lautlosen Pferd, dessen Hufe selbst auf Fels kein Geräusch erzeugten, ritt ihnen langsam voran, gröÃtenteils auf überwucherten Wegen und Wildpfaden, ab und an aber auch durch ein lichtes Gehölz oder am kieseligen Ufer eines sprudelnden Baches entlang.
Eljazokad, der seiner Begabung entsprechend an allem Ãbernatürlichen interessiert war, versuchte einmal, ein Gespräch mit dem schattenhaften Führer anzufangen. Es versiegte, weil der Reiter weder antwortete noch auch nur den Eindruck erweckte, überhaupt zuzuhören.
Zweimal verhielt der Reiter sein Pferd und schien in die umgebende Natur hineinzuhorchen. Keiner vom Mammut, nicht einmal Naenn oder Hellas, hatte etwas bemerkt. Durchstreiften tatsächlich Horden von Haarjägern das Gebirge? Gab es hier gefährliche Tiere, die so groà waren, daà sie selbst Riesen gefährlich werdenkonnten? Der Schemenreiter brachte dem Mammut nichts bei. Er führte sie nur dorthin, wohin er sie führen sollte.
Nach einem zweistündigen Marsch und einer letzten Drittelstunde, die planlos durch einen felsendurchsetzten Fichtenbestand zu führen schien, klaffte vor ihnen plötzlich eine ausgefranste Höhlenöffnung in einer senkrechten Felswand. Der Reiter verhielt sein Pferd und bewegte sich nicht mehr. Still und durchschimmernd, trübe wie ein aufgewühltes und dennoch gebändigtes Wasser, stand er unter dem Mond und war auch aus nur wenigen Schritten Entfernung kaum noch zu erkennen.
Als Rodraeg die Höhle erblickte, durchlief ihn ein Schaudern. Zu sehr steckte ihm noch die Erinnerung an die Schwarzwachshöhle von Terrek in den Knochen, an ihr gähnendes Maul mit dem verborgenen FallgittergebiÃ. Hustenreiz meldete Ansprüche an. Ihm war klar, daà dieser Reiz nicht nur von seinem Körper, sondern auch von seinem Geist herrührte.
Er holte seine Grubenlaterne aus dem Rucksack, doch Hellas legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Laà uns besser erst Licht machen, wenn wir zwanzig Schritte drinnen sind, sonst weisen wir sämtliche Haarjäger auf diesen Eingang hin.«
»Du hast recht«, stimmte Rodraeg ihm zu. Ihn ärgerte seine eigene Unruhe.
»Wenn man uns erwartet«, ergänzte Naenn, »gibt es dort drinnen Licht.«
»Also gut. Wer hat die besten Augen im Dunkeln? Naenn? Hellas?«
»Ich gehe voran«, sagte Hellas und schlüpfte bereits in die Höhlenöffnung, den schuÃbereiten Bogen in Händen.
Naenn hatte richtig vermutet. Schon nach wenigen Schritten und einer Linksbiegung begannen die grauen Wände im Widerschein von Fackeln zu glimmen. Gleichzeitig begann es nach Rauch zu riechen. Rodraeg kämpfte aufwallende Panik nieder, stützte sich beim Gehen an der Wand ab und hielt die rechte Armbeuge vor Mund und Nase, um nicht dermaÃen laut und hallend loszuhusten, daà alle Haarhändler der umliegenden Gegend von ihren Lagern springen würden. Naenn betrachtete ihn besorgt. Er winkte ab, war aber wenig überzeugend dabei.
Endlich öffnete sich der Gang zu einem zehn Schritte durchmessenden, von Tropfsteinen überwucherten Raum. Inmitten einiger unregelmäÃig angebrachter und in Zugluft flackernder Fackeln stand Gerimmir, der Untergrundmensch, den Rodraeg auf seiner Antrittsreise beim Kreis in Aldava kennengelernt hatte. Kleingewachsen, bleich und ältlich, mit rötlichen, scheuen Nachttieraugen und maulwurfshaften Grabhänden begrüÃte er die Ankömmlinge auf die ihm eigene zurückhaltende Art. Gekleidet war er in ein erdfarbenes, einfaches Gewand, seine kurzen, an die Stacheln eines Igels erinnernden Haare standen ihm in alle möglichen Richtungen vom Kopf ab.
»Erschreckt bitte nicht, meine Freunde«, sagte er leise und eindringlich, »alles ist rechtens.« Dann lösten sie sich aus den Schatten: zwei
Weitere Kostenlose Bücher