Das vergessene Zepter
»Du bist unser Kontaktmann. Führe uns auf Wegen, denen wir folgen können, zu Gerimmir.«
Auch von nahem war es nicht möglich, den Schemenreiter deutlicher ins Auge zu fassen. Er hatte kein Gesicht, obgleich sein Kopf wohl doch nicht verhüllt oder verschleiert war. Es war einfach nur wabernde Kontur. Der ganze Körper und selbst das Pferd schienen in einem inneren Sturm zu kreisen, zu wirbeln und zu wehen, und nur ein verhältnismäÃig fester Umrià schien das Ganze zusammenzuhalten. Eljazokad hatte sich nicht getäuscht: Man konnte sogar durch den Reiter hindurchsehen, aber nicht immer, und nicht immer an derselben Körperstelle.
Bislang hatte der Reiter sich äuÃerlich nicht bewegt und ruhig abgewartet, bis sich ihm das Mammut auf sieben Schritte genähert hatte. Aber nun kam Unruhe in das Pferd. Der Reiter muÃte es zügeln und schien mit seinem augenlosen Kopf über das Mammut hinweg in Richtung Keiler zu blicken.
Rodraeg, Naenn und Hellas wandten sich zuerst um. Dort quollen die fünf Zänkischen aus der mattroten Tür, im Licht des Innenraums funkelnd, und blickten sich hektisch um, bis sie das Mammut und den Reiter im Mondschein erspäht hatten.
»Da! Was habe ich euch gesagt? Wenn die so plötzlich aufbrechen und alles stehen- und liegenlassen, muà ein Riese oder so was in der Nähe sein! Es ist noch schlimmer: Einer von diesen Schemenreitern, von denen man sich in Miura erzählt.«
»Wenn wir den umlegen können, machen wir uns einen Namen unter den Haarhändlern. Wir sind zu fünft!«
»Ja, aber die anderen sind jetzt zu sechst.«
»Na und? Zwei sind nicht mal bewaffnet.«
»Schemenreiter sollen aber sehr gefährlich sein. AuÃerdem gibt es bei ihnen keine Beute zu holen. LaÃt uns doch lieber nur Riesen töten.«
»Wenn wir ihnen unbemerkt folgen würden, würden sie uns bestimmt zum Nest der Riesen führen. Mann, das gäbe reiche Beute!«
»Ja, aber dafür ist es jetzt ein biÃchen zu spät, findest du nicht auch, du Blödmann? Wir stehen mitten im Licht und sind längst gesehen worden.«
Rodraeg fiel es schwer, die fünf Zerstrittenen so ernst zu nehmen, wie er die Kruhnskrieger, die Wachtposten auf dem Piratenschiff oder die Wilden Jäger ernst genommen hatte. Er blickte seine Gefährten an, um ein Stimmungsbild zu erhalten. Naenn war nervös. Hellas hatte den Bogen schon in der Hand und einen Pfeil eingelegt. Eljazokad stand ruhig da, mit entspannten Schultern. Bestar grinste sogar und schien sich über die anderen fünf zu amüsieren.
Das genügte Rodraeg. Ein Kampf konnte vermieden werden.
Er trat einen halben Schritt vor. Er räusperte sich, legte eine Hand auf seine Schwerttasche und rief dann mit lauter Stimme zu den gut dreiÃig Schritt entfernten Haarhändlern hinüber: »Wir sind nicht nur zu sechst. Wenn ihr einen Schemenreiter sehen könnt, bedeutet das immer, daà fünf weitere euch in den Schatten umzingelt haben.«
In die Haarhändler kam deutliche Unruhe. Sie blickten nach hier und dort, legten Pfeile in ihre Bögen, fuchtelten damit herum und bewegten sich durcheinander, um hinter den jeweils anderen Deckung zu suchen.
»Euch machen wir alle!« brüllte ein besonders Tapferer.
»Mensch, halt die Schnauze!« mahnte ihn ein anderer.
»Ich möchte, daà ihr folgendes begreift.« Rodraeg sprach möglichst einnehmend und versöhnlich, dennoch war es nicht ganz ungefährlich, daà er sich so in den Vordergrund stellte. Ein einziger Pfeil eines Unberechenbaren konnte ihn immerhin töten. Bestar stellte sich deshalb neben ihn, um zur Not vor ihn springen und ihn abschirmen zu können. Rodraeg fuhr fort: »Die Riesen sind nicht mehr allein. Es mag nur noch wenige von ihnen geben, so daà ohnehin nicht mehr genügend Beute für alle Haarhändler zu machen ist, die sich im Wildbart herumtreiben. Aber für jeden einzelnen Riesen, der einem von euch zum Opfer fällt, finden sich fünf Menschen, die seinen Platz einnehmen, um für die Sache der Riesen zu streiten. Wir nennen uns das Mammut. Wenn ihr etwas von den Riesen wollt, müÃt ihr zuerst an uns vorbei. Dann an den Schemenreitern. Dann an den anderen Menschen, die für die Riesen kämpfen. Und zuletzt an den Riesen selbst.«
»Es gibt keine Menschen, die für Riesen kämpfen«, widersprach der Tapfere
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