Das vergessene Zepter
Einige von uns, die die Pilze der Weissagung essen, wähnen ihn sogar schon gekommen.«
»Wir müssen helfen«, sagte Gerimmir noch einmal mit Nachdruck. »Wenn die Riesen im Wildbart zugrunde gehen, ohne jemals wieder mit ihrem magischen Erbe vereinigt worden zu sein, wird das gesamte, vom mythischen Rulkineskar verschlossene magische Potential einfach verloren sein. Wenn der Wildbart jedoch wiedererstarkt, wenn der Wildbart aufleuchtet vor Kraft, die direkt von den Göttern gegeben wurde, dann könnte das Gebirge eine Bastion werden. Eine Bastion auch für Schmetterlingsmenschen und Untergrundmenschen, denn machen wir uns nichts vor: Uns geht es nicht viel besser als den Riesen. Man läÃt uns zwar in Ruhe und macht nicht Jagd auf uns, aber es kann jederzeit soweit sein. Schöne Schmetterlingsmädchen wurden schon vor Jahrhunderten aus dem Larnwald verschleppt. Wir leben in winzigen Fragmenten dessen, was dereinst uns gehörte, und müssen mit ansehen, wie wir immer schwächer und weniger werden. Im Wildbart wäre immerhin ein Pakt möglich. Ein Pakt nicht des Konfliktes, sondern der Unabdingbarkeit des Ãberlebens.«
Gerimmirs Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Naenn, Eljazokad und Bestar nickten, obwohl Bestar den letzten Satz nicht ganz verstanden hatte.
»Also«, versuchte Naenn zusammenzufassen, »der Auftrag des Mammuts lautet: Zur Höhle des Alten Königs in die Nähe von Tyrngan reisen, dort das Zepter Rulkineskars bergen und hierher in den Wildbart bringen.«
»So ist es«, bestätigte Attanturik. »So ihr euch denn einverstanden erklärt.«
»Wir waren erst vor kurzem dort«, bemerkte Eljazokad. »Auf dem Hinweg nach Wandry standen wir vor der Höhle des Alten Königs und bestaunten die steinernen Fleischfliegen, die den Eingang bewachen. Seit tausend Jahren scheitert man daran, die Höhle zu öffnen. Wie also kommen wir hinein?«
»Ihr erhaltet von uns einen Schlüssel.«
»Ich habe nirgendwo ein Schlüsselloch gesehen.«
»Der Schlüssel sind Worte. Die Worte lauten: Als Rulkineskar diesen Berg um diese Höhle legte, schuf er kein SchloÃ,
sondern sieben Schlüssel, und er streute sie in sieben Richtungen und wartete darauf, geboren zu werden. Dies jedoch in der alten Sprache unseres Volkes.«
Wieder nickten die drei anwesenden Menschen. Die Riesen und der Untergrundmensch verzeichneten mit Wohlwollen, daà diese Menschen nicht gierig auf den Schlüssel und die Schätze waren, die von den Jahrhunderten in die versiegelte Höhle hineingeraunt worden waren.
»Ich verstehe etwas nicht«, meldete sich Bestar wieder zu Wort. Alle sahen ihn an. »Wir sind mit einer Kutsche hier. In einer Kutsche oder â sagen wir â einem gut verdeckten Planwagen könnte doch auch ein Riese nach Tyrngan reisen, ohne unterwegs behelligt zu werden. Wir könnten den Begleitschutz machen. Dann könnt ihr euer Zepter selber an euch nehmen. Wär das nicht viel einfacher?«
Attanturiks Lippen kräuselten sich erneut zu einem Lächeln. »Du bist sehr klug.« Bestar staunte. Das hatte noch nie jemand zu ihm gesagt. »Du hast eines der Geheimnisse der Höhle bereits entschlüsselt«, fuhr der Riese fort. »Die Höhle des Alten Königs ist nicht für den Riesen erbaut worden. Wie der Schlüssel schon sagt, streute Rulkineskar ihn in alle Richtungen. Es muà ein Angehöriger eines anderen Volkes sein, der den Schlüssel bringt und das Zepter birgt. Gerimmir war ebenfalls sehr klug, als er von einem Pakt sprach. Um nicht weniger geht es. Einen Pakt vielleicht nicht zwischen dem Riesen und allen Menschen, aber einen Pakt zumindest zwischen uns und euch.«
»Was wird uns in der Höhle erwarten?« fragte Naenn.
»Rätsel«, antwortete der Riese. »Träume. Fragen. Wege und Irrwege. Prüfungen und Gleichnisse. Zuletzt das Zepter.«
Eljazokad straffte sich. Das war es also. Ich bin ein Traum, verborgen in einem Irrgarten, verdunkelt durch ein Rätsel, entfernt durch einen Abgrund. Folge der Fährte des Mammuts, um mich zu finden. So hatte das Mädchen mit den Mandelaugen zu ihm gesprochen, in einem der intensivsten Träume seines Lebens. Seit er der Fährte des Mammuts folgte, war ihm immerhin schon ein mandeläugiger Mann begegnet, einer der Wilden Jäger, die sie vor Wandry bezwingen muÃten. Das Mädchen war
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