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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gezüchteten Bäumchen gar nicht unähnlich. Am frühen Nachmittag schon ging es los, Treffpunkt war der Marktplatz, wo von den Kilden eine Woche lang einen Stand unterhalten und jetzt abgebrochen hatte. In Somnicke wollte er sowohl seine restliche Ware verkaufen als auch seinen Vorrat an Töpfen und geeigneter Baumerde wieder auffüllen. Seine Heimat war Schreer, dort befand sich sein Zuchtgarten, aber das unregelmäßige Viereck zwischen Endailon, Warchaim, Somnicke und Aldava war sein bevorzugtes Liefergebiet.
    In den Reisepausen der ersten gemeinsamen Tage holte er gerne eine kleine, hartgestimmte Laute hervor und gab mit erstaunlich volltönender Stimme das eine oder andere Lied zum besten. Dabei stellte sich heraus, daß auch Eljazokad einigermaßen singen konnte und – da er gut war im Auswendiglernen – Balladen vorzutragen wußte. Eljazokads Lieder handelten von Mythen und Legenden, Die Verfolger des nicht vorhandenen Drachen, Dreißig Schwerter, dreißig Mann und Im Meer der tausend Perlenaugen (vollendet sich unser
    Geschick); die Lieder von den Kildens waren eher bodenständiger Natur, aber stets geschmackssicher. Erst als Bestar einen klippenwälderischen Gassenhauer anstimmte – Es weht ein Wind vom Wirtshaus her – wurde es unschön und derb, wenngleich nicht ohne Witz.
    Die Reise nach Somnicke verlief ruhig und ereignislos. Von den Kildens von zwei Maultieren gezogener Wagen bot kaum Platz für alle, war aber gleichzeitig langsam genug, daß man im Eilmarschtempo auch nebenherlaufen konnte, womit die Mannen vom Mammut sich regelmäßig abwechselten. Nur Rodraeg saß die ganze Zeit neben von den Kilden, hustete unablässig in ein Taschentuch, ernährte sich überwiegend von Naenns Kräutern und Lakritze, die er sich auf dem Warchaimer Marktplatz gekauft hatte. In immer neuen Variationen erzählte er dem Kleinbaumzüchter von ihrer Begegnung mit dem Werwolf und dessen Leibgarde aus Flechtenwölfen.
    Um die Mittagszeit des 9. Feuermondes erreichten sie Somnicke. Das Mammut hatte seine Vorräte aufgezehrt und fing gleich auf dem Marktplatz mit dem neuen Verproviantieren an. Hanz von den Kilden war noch beim Finden einer Anschlußreisemöglichkeit nach Tyrngan behilflich: Er kannte Holzhändler, die Larnwaldholz in die baumarme Delphiorseegegend verkauften und nach Abschluß ihrer Lieferung mit leerem Wagen wieder nach Norden zurückführen. Gleich zwei solcher Wagen brachen am folgenden Morgen nach Tyrngan auf, beide fuhren gemeinsam und boten ausreichend Platz für bis zu acht Mitreisende.
    Somnicke lag – anders als Terrek, wo das nur behauptet wurde – tatsächlich direkt am See und bot alles, von der gepflegten Uferpromenade über Fischgasthäuser bis hin zu einer Seeaussichtsplattform und weitverzweigten Tempelanlagen, die alle dem Delphior geweiht waren. Der Delphiorsee lag ruhig und klar im Sommersonnenlicht, Gäste und Einheimische badeten in sandigen Bereichen, andere fuhren auf kleinen Seglern oder Ruderbooten hinaus und lockten dort mit Brotkrumen die vielen verschiedenen Enten- und Schwanenarten an. Rodraeg hielt beim Stadtspaziergang Ausschau nach dem Skulpturenhändler Benter Smoi und dem legendären Holzschnitzmeister Heisel, von dem Smoi ihnen auf der Rückreise der Terrekmission vorgeschwärmt hatte, doch Somnicke wimmelte nur so von holzverarbeitenden Betrieben, und bald schwirrten ihnen allen die Köpfe vor lauter Namen, Geschäften und Schnitzhandwerksangeboten.
    Sie speisten ausgiebig in einem Wirtshaus namens Zur Spiegelung, wo sie sich – die Bernsteingabe der Riesen feiernd – auch vier gemütliche Einzelzimmer leisteten. In der Zwischenzeit machte Hanz von den Kilden die beiden Kutscher der morgigen Holzwagenfahrt ausfindig, und Rodraeg traf sich mit den beiden neben einem farbenprächtig bemalten Leuchtturm, der wohl lediglich der Zierde diente. Beide Kutscher waren hager, großgewachsen und flachsblond, hatten allerdings sehr unterschiedliche Gesichter, die von einer gewissen Verschlagenheit geprägt waren. Der ältere, dem eine Narbe den Mund zu einem immerwährenden höhnischen Grinsen verzog, hieß Lenn, der jüngere, dessen Augen stets zusammengekniffen waren, als blinzelte er gegen die Sonne, hörte auf den Namen Berino. Rodraeg hatte von Anfang an das Gefühl, den beiden nicht recht über den Weg trauen zu können; seine

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