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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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mit dem Aufstieg. Eljazokad war der einzige von ihnen, der noch eine Ahnung hatte, ob draußen inzwischen Tag oder Nacht war. Als Lichtmagier, sagte er, konnte er spüren, daß draußen die Sonne schien. Aber wie spät es genau war, vermochte auch er nicht zu sagen.
    Sie kamen bis zur fünfzigsten Stufe und benötigten dafür über acht Stunden. Jede der Stufen war inzwischen zehn Schritte hoch, höher als ein dreistöckiges Hauptstadtgebäude. Alle bis auf Bestar waren bleich und zittrig, alle Finger bis auf Hellas’schmerzten bei jeder Bewegung. Eljazokad vertat einen Großteil seiner restlichen Energie damit, einen Lichtschein nach oben zu werfen, um einen Eindruck von dem zu erhalten, was noch vor ihnen lag: eine endlose Abfolge einander immer steiler in die Höhe drängender Steinstufen. Mindestens hundert Schritte aufwärts ging es noch so weiter. Rodraeg lachte verzweifelt auf.
    Hellas rechnete ihrer aller Lebensalter zusammen und kam als Ergebnis auf die Zahl 113. »So viele Stufen türmen die Riesen vor uns auf. Einhundertunddreizehn«, sagte er fatalistisch.
    Â»Ich glaube, es wird eine mehr sein, als wir schaffen können«, steuerte Eljazokad – auch nicht aufbauender – bei.
    Â»Das geht doch nicht«, widersprach Bestar, der wenigstens noch atmen konnte, ohne zu hecheln. »Die Stufen sind aus Stein, die passen sich nicht dem an, der darauf herumklettert. Es werden sechzig sein oder siebzig, höher ist dieser Berg doch gar nicht, in dem wir sind.«
    Â»Siebzig klingt gut«, ächzte Rodraeg mit rasselnder Stimme. »Siebzig oder siebenundsiebzig, weil es sieben Wege gab, die Sonne und die Felder siebenzackig waren und die Sackflöte sieben Töne hatte. Sieben ist eine wichtige Zahl für die Riesen.«
    Â»Aber es waren nicht sieben Treppenstufen«, versetzte Hellas. »Ebensogut können es auch siebenhundertundsieben- undsiebzig sein.«
    Â»Der Berg ist nicht hoch genug für mehr als siebzig Stufen«, beharrte Bestar. Damit war die Diskussion beendet. Sie tranken, rieben sich die Handgelenke mit Speichel und Wasser ein und kletterten weiter.
    Beim Ersteigen von Stufe Sechsundfünfzig kam Rodraegs schon seit langem befürchteter Zusammenbruch. Der Husten packte ihn und schüttelte ihn wie ein Spielzeug, Bestar mußte ihn am Seil wieder auf die Fünfundfünfzig hinablassen, aber auch das Liegen brachte keine Linderung. Rodraeg stieß noch unter gräßlichen Mühen ein paar kaum verständliche Worte über das Salzfäßchen hervor, dann erbrach er Blut und Schwarzwachsbrocken und verlor das Bewußtsein. Die anderen drei kämpften um ihn. Bestar massierte seinen Brustkorb, Hellas rieb seine Schläfen und Handgelenke mit dem letzten Wasser ein, Eljazokad hauchte ihm sogar Luft durch Mund und Nase und hielt ihm immer wieder Nerass’ Heilsalz zum Riechen vor, aber das Bewußtsein kehrte nicht zurück. Rodraeg lag im Sterben.
    Â»Er überwindet seinen Körper!« brüllte Hellas die Tiefe, die Stufen und die gnadenlosen Wände an. »Das ist doch, was ihr wolltet, oder? Er überwindet seinen Körper und krepiert, ihr mitleidlosen Schweine! Für euch tut er das alles, für euch!!!«
    Â»Für euch … für euch … für euch …«, wehklagte das Echo und verstärkte damit nur noch das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein.
    Ãœbergangslos fing Hellas an zu weinen, aber er wischte sich die eigenen Tränen zornig aus dem Gesicht und zog sich vor den anderen bis an den äußersten Rand der Stufenkante zurück.
    Â»Wir bleiben erst mal hier«, entschied Eljazokad leise. »Vielleicht bessert sich sein Zustand. Vielleicht tun noch ein paar Stunden Schlaf uns allen gut.«
    Eljazokad und Hellas ruhten, Bestar wachte über Rodraeg und hielt mit traurigem Gesicht seine Hand. Als die anderen dann wieder zu sich kamen, hatte Bestar drei ihrer vier Rucksäcke geleert, den Inhalt aller vier in einen einzigen gestopft, den er Hellas übergab, und sich die drei leeren Rucksäcke mit ihren Schnürriemen und Lederschlaufen so an den Schultern und an der Hüfte befestigt, daß er sich den ohnmächtigen Rodraeg einigermaßen fest an Oberarmen und Gürtel auf den Rücken schnallen konnte. »Hilft alles nichts«, sagte er. »Wir müssen weiter.« Dann ergriff er das Hakenseil, warf es hinauf, zurrte es fest und

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