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Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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meisten zu schaffen. Was hatte das bei dir mit dem Stadttor zu bedeuten?«
    Â»Das war womöglich der Wendepunkt meines Lebens. Als ich mich gegen ein geregeltes Leben entschied, gegen eine Ehefrau und einen gutbezahlten Hauptstadtberuf. Aber Bestar – wir sollten Hellas nicht so lange alleine lassen. Der Ärmste hat es in Höhlen wirklich schwer genug.«
    Â»Stimmt. Ich bringe ihm das Seilende.«
    Drei Sandstriche später tauchte Bestar wieder auf. Er hatte die ganze Ausrüstung im Schlepptau, die sie abgelegt hatten, um beim Schwimmen nicht behindert zu werden. »Er sagt, er wird dreimal rucken, wenn er bereit ist, von uns gezogen zu werden.«
    Â»Hat er sonst noch etwas gesagt?«
    Â»Oh, er schimpft die ganze Zeit wie eine Schwarzdrossel, die eine Elster von ihrem Gelege fernhalten möchte. Wenigstens unter Wasser kann er nicht schimpfen.«
    Sie warteten auf das dreimalige Rucken. Es dauerte so lange, daß Rodraeg besorgt Bestar schon wieder losschicken wollte, aber dann zuckte das Seil. Einmal, zweimal, dreimal.
    Bestar, Eljazokad und auch Rodraeg gaben sich alle Mühe, Hellas so schnell wie möglich durch den Tunnel zu ziehen. Doch noch nie konnte ein Mensch seinen Erinnerungen mittels Geschwindigkeit entkommen.
    Hellas sah genau das, was er am meisten befürchtet hatte.
    Seine Frau, Saciel. Nackt, geschunden, zur Unkenntlichkeit entstellt.
    Auf dem Tisch, dem Tisch der lüsternen Schlächter.
    Wie sie ihn anflehte mit ihrem Mund, aus dem die Zähne gebrochen waren.
    Wie er in seinen Fesseln das Brotmesser zu packen bekam und es warf.
    Wie sie das überlebte, weil er nicht gut genug war als Messerwerfer, und wie das Messer sie langsam und qualvoll verröcheln und verbluten ließ, und wie sie ihn dabei ansah, vorwurfsvoll, »Was hast du getan?« – sie hatte genug Zeit, den eigenen Todeswunsch zurückzunehmen und wieder leben zu wollen, als es dazu bereits zu spät war.
    Wie er dann Rache nahm an den drei Schändern, ihnen bis in ihre Särge folgte und sie dort marterte, und dabei so über sich selbst und seine Grausamkeit erschrak, daß seine Haare weiß wie Schnee wurden.
    Wie ihm der Mut fehlte, sich selbst zu töten und ihr nachzufolgen, und sie dadurch immer weiter davontrieb in die Unendlichkeit, allein und ohne Halt, bis alle Hoffnung auf ein Wiederfinden ihm gestorben war.
    Als ihn seine drei Gefährten aus dem Wasser zogen, weinte er und brüllte und spie, er schlug auf den Fels ein und auf sein verzerrtes, weißhaariges Spiegelbild im Kristall der Wände. Er wollte Riesen zerfetzen mit bloßen Händen, den Kreis in Brand setzen und alle Selbstgerechten gleich dazu, und er wollte Rodraeg das sinnlos lange Schwert entreißen und sich damit selbst in schreiende Stücke schneiden. Es dauerte den dritten Teil einer Stunde, bis er sich so weit beruhigt hatte, daß die anderen ihn loslassen konnten, ohne ihn fesseln zu müssen.
    Rodraeg kam das Ganze unangenehm bekannt vor. Auch Migal hatte so getobt, als Bestar ihm den Fuß zerschmettert hatte, um ihn an einem Fluchtversuch aus der Schwarzwachshöhle zu hindern. Dadurch hatten sie Migal zwar das Leben gerettet, ihn aber als Freund und Mitstreiter verloren. Auch Hellas war jetzt ein Stück weit verlorengegangen. Rodraeg konnte von seinen Männern nicht erwarten, übermenschliche Opfer zu bringen für eine Sache, an die er in seinen düstersten Momenten selbst nicht mehr glaubte.
    die trennenden rätsel
    Nach einigen Stunden dringend benötigter Ruhe hatten sie sich soweit gesammelt, daß sie ihre Ausrüstung wieder anlegen und weitergehen konnten. Hellas bildete hinkend, zähneknirschend und sich an den Wänden abstützend, aber jegliche Hilfestellung von sich weisend die Nachhut. Rodraeg ging, von Bestar gestützt, vorneweg.
    Der nächste Raum, den sie erreichten, bot ihnen vier identische Türen aus Stein. Es waren keine Türen für Riesen, eher für Menschen.
    Â»Ihr habt bewiesen, daß ihr als Gruppe zusammenhaltet«, meldete sich die Stimme in ihren Köpfen wieder. »Nun aber schreite jeder durch eine andere Tür und löse dieselben Rätsel wie die anderen.«
    Der Tonfall dieser Stimme war anders als zuvor, höflicher, weniger von oben herab. Rodraeg fragte sich, ob es überhaupt dieselbe Stimme war oder ob es unterschiedliche Stimmen gab, die den jeweiligen Räumen und Aufgaben zugeordnet waren.

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