Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vergessene Zepter

Das vergessene Zepter

Titel: Das vergessene Zepter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
– und die Ritterin zu Pferde nebenher – drei Stunden in finsterster Nacht die verlassene Straße nach Tyrngan entlang und schlugen dort ein zweites Nachtlager auf. Diesmal waren es Rodraeg, die Ritterin, Jeron und der unermüdliche Seraikella, die Wache hielten.
    Rodraeg und die Ritterin musterten sich. Meistens war es Rodraeg, der als erster woandershin schaute. Manchmal war es aber auch Jeron MeLeil Gabria, der wie zufällig beim Aufund Abgehen zwischen sie trat und ihnen die Sicht aufeinander verwehrte.

9

Stab der Fliegen
    Der Heiler Nerass staunte nicht schlecht, als er Rodraeg gegen Mittag des folgenden Tages untersuchte.
    Â»Es ist nicht zu glauben, aber Ihr scheint mir vollkommen gesund zu sein! Es ist doch gerade erst … sechs Tage her, da ich Euch eine ausgiebige Bettruhe verordnete!«
    Â»Vieles ist geschehen in diesen sechs Tagen. Eine sehr starke und sehr alte Magie hat auf mich eingewirkt und das magische Untier ausgemerzt, das sich in meinem Körper eingenistet hat. Es ist seltsam, was so etwas mit einem anstellt. In den ersten Stunden nach der Heilung fühlte ich mich so bewußt lebendig, geradezu jugendlich und unbesiegbar. Als müßte ich mir von niemandem mehr etwas sagen lassen, was mir nicht gefällt. Als hätte ich mir dadurch, daß ich dem sicheren Tod entkommen bin, einen neuen Status verdient, eine höhere Sichtweise auf alles Geschehen. Aber letzte Nacht hat das Schicksal mir doch wieder begreiflich gemacht, daß nichts sich verändert hat. Der Kontinent ist immer noch dieselbe brodelnde Wunde, die vorher in mir drin war. Mein Verändertsein bewirkt nicht, daß irgend etwas anderes sich ebenfalls verändert hat. Alles geht weiter und wieder von vorne los und findet nie zur Ruhe.«
    Nerass rieb sich nachdenklich den Glatzkopf. »Ihr erscheint mir auch sonst verändert, wenn ich das sagen darf. Eure Haare, Eure Augen, selbst Eure Fingernägel – alles wirkt so, als sei es … von den Abnutzungen des Lebens unberührt.«
    Â»Neue Augen, ja. Ich habe neue Augen erhalten und sehe mit ihnen dennoch dasselbe wie vorher. Und übersehe wahrscheinlich auch nicht weniger als bislang. Nerass – das Leben ist ein Labyrinth, und wir durchschreiten es nicht, sondern es verändert sich stetig und läßt uns dadurch glauben, wir kämen voran.«
    Â»Von meinem fachlichen Standpunkt aus kann ich Euch nur als geheilt betrachten. Und dennoch bleibt mein Rat an Euch derselbe wie vorher: Für alles, was meine Kenntnisse übersteigt, für alle Fragen und Antworten, die in Euch wüten, wie es vorher das schwarze Ungeheuer tat, solltet Ihr vielleicht eher einen Tempel konsultieren.«
    Â»Das werde ich wahrscheinlich tun. Jedenfalls danke ich Euch für alles, was Ihr für mich getan habt. Ohne Eure Hilfe wäre ich wohl gar nicht so weit gekommen, meine Heilung noch erleben zu dürfen.«
    Â»Ach, eine Frage habe ich noch an Euch. Ihr sagtet vor sechs Tagen, daß Ihr Euch Euer Überleben verdienen könntet. Und? Habt Ihr das Gefühl, es Euch verdient zu haben?«
    Rodraeg lächelte. »Ich habe eher das Gefühl, eine Gelegenheit erhalten zu haben, es mir noch verdienen zu können. Wäre ich jetzt schon gestorben, hätte ich genausogut nie geboren sein können. Eine Hoffnung auf einen Sinn oder eine Antwort kann nicht schaden bei einer Erkrankung, oder?«
    Â»Als Heiler, wenn ich ein Kind sterben sehe, frage ich mich oft, ob es einen Sinn oder eine Antwort gibt. Aber in all meinen Jahren ist mir kein einziger Fall begegnet, in dem Hoffnung geschadet hätte.«
    Auf dem Rathausplatz Tyrngans schaute Rodraeg sich die aushängenden Steckbriefe an. Er fand keinen für die Ritterin oder einen ihrer Gefährten, jedoch einen für Skandor Rigan, also für Dasco, dessen Ableben – lediglich drei Kutschenreisetage von hier entfernt – offensichtlich noch nicht aktenkundig geworden war. Rodraeg kam der ihm selbst grotesk anmutende Einfall, Dascos Leichnam auszubuddeln und in Tyrngan gegen das Kopfgeld einzutauschen. Die in Aussicht gestellte Summe würde die Geldprobleme des Mammuts auf lange Zeit lösen. Aber sie hatten für derartig makabere Unternehmungen gar keine Zeit. Ein Zepter harrte der Übergabe.
    Rodraeg besaß nur noch zweiundzwanzig Taler und acht Kupferstücke. Zwei Taler und die acht Kupferstücke wollte er für einen wie auch immer gearteten

Weitere Kostenlose Bücher