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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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und Borelie. Vernahmen auch sie den Ruf der Stadt?
    Da begannen sich die Wellen zu glätten, fluteten langsamer und gleichzeitig erkennbarer. Eine neue Gruppe von Fremden war im Anflug. Die Stadt schwankte zwischen Hoffnung und Furcht. Und es schien, daß die Furcht die Hoffnung zu verdrängen begann.
    »Kehrt zurück!« rief es. »Die Fremden könnten Unheil über euch bringen.« Und dann: »Kehrt zurück! Sie könnten euch töten! Sie werden euch töten. Eilt! Damit ihr nicht umkommt wie Dasiet und Molnur und… und… Die Fremden werden euch vernichten. Nur die Stadt kann euch schützen. Kehrt zurück!«
    Noch während er unschlüssig überlegte, entschied sich Borelie. Laut und vernehmlich sagte sie: »Nein!« Und sie sah ihn an mit einem Gesicht, das längst nicht so entschlossen wirkte wie ihre Ablehnung. »Sag, daß wir bei den Fremden bleiben, Stenelor. Sag, daß wir nicht zurückkehren werden, bevor sie Vertrauen zu uns gefaßt haben, bevor sie begriffen haben, daß wir nicht ihre Feinde sind. Sag es, Stenelor!«
    »Borelie!« rief es aus der Stadt. »Borelie!«
    »Ihr irrt!« rief Stenelor dagegen. »Diese Fremden sind nicht anders als wir. Sie sind Menschen, hört ihr, sie sind Menschen. Man kann mit ihnen reden. Wir haben mit ihnen gesprochen. Alles wird gut werden.«
    »Wenn wir nur weiter mit ihnen sprechen«, ergänzte Borelie. »So lange, bis wir einander begreifen. Wer miteinander redet, der tötet den anderen nicht.«
    »Aber sie töten«, rief die Stadt. »Sie töten!«
    »Nein!« sagte Stenelor. Und noch einmal: »Nein! So, wie wir das bisher gemeint haben, ist es falsch. Ich will nicht glauben…«
    Er redete und redete, und dabei lauschte er den Wellen, die aus der Stadt kamen, den Wellen, die sich langsam wandelten, je länger er sprach. Als er zur Seite blickte, sah er das Lächeln Borelies und auch, daß es sich um so mehr vertiefte, je deutlicher sich der Erfolg seiner Worte abzeichnete. Und die Stimmung verschob sich mit jedem Satz zu seinen Gunsten.
    »Du schaffst es, Stenelor«, flüsterte sie. »Du schaffst es.«
    Schließlich verebbten die Wellen, die Stadt ließ sie gewähren, aber nun waren sie auf sich allein gestellt.
    Er rief die Glieder der Gruppe auf, sie meldeten sich alle, manche mit einem Unterton des Triumphes, andere irritiert, vielleicht hätte sich der eine oder andere lieber in die Stadt zurückgezogen.
    »Wer gehen will, der soll es gleich tun«, rief Borelie. »Wer sich in den Schutz der Stadt zu begeben wünscht, der möge jetzt zurückfahren.« Sie wartete einen Moment lang, und als sich niemand abmeldete, sagte sie: »Na, keiner?« Und dann lachte sie in die Stille hinein, wie er sie noch nie lachen gehört hatte.
    Der Abstand zwischen ihnen beiden, in den letzten Tagen ohnehin bis auf einen kleinen Rest geschrumpft, existierte plötzlich überhaupt nicht mehr, mit einer heftigen Bewegung zog er sie an sich. »Wenn wir die Fremden zum Feuerkessel führen, Borelie«, sagte er leise, »dann werden wir heute nicht mehr zurück in die Stadt gelangen.«
    Sie überlegte, sie begriff nicht sofort, weshalb er es sagte. »Deine Kammer wird in dieser Nacht leer bleiben, Borelie.«
    Sie lehnte sich an ihn. »Mein dritter Tag«, murmelte sie. »Mein dritter Tag.« Doch dann blickte sie ihn mit schräg gehaltenem Kopf an. »Sag, Stenelor, müssen es denn immer nur die grünen Tage sein? Gibt es nicht auch noch viele andere Tage?«
    Eine solche Frage hätte ihn vor ganz kurzer Zeit noch aus der Fassung gebracht, weil sie an Verhaltensweisen anknüpfte, die als längst in der Vergangenheit versunken galten. Zweisamkeit der Geschlechter, nicht ausschließlich zum Zweck der Zeugung, sondern als Grundlage gemeinsamen Lebens, aus einer unerklärlichen selektiven Anziehung der Geschlechter heraus, war eine Form der Selbstisolation, die schon lange für überwunden gehalten wurde. Das Glück liegt nur in der Gemeinschaft aller, sagen die Philosophen, und deshalb ist Zweisamkeit immer auch eine besondere Form der Einsamkeit. Und nun diese Frage, und zudem noch von Borelie. Ausgerechnet von Borelie.
    Was ihn aber am meisten verblüffte, das war der Umstand, daß er überhaupt nicht erschüttert war, daß er sich durchaus vorzustellen vermochte, an jedem Abend und in jeder Nacht mit Borelie zusammen zu sein, mit ihr zu leben Tag und Nacht, sie nicht nur an den drei grünen Tagen ihres Monats in den Armen zu halten.
    Und die anderen? Luela, Kaudien, Dasiet? Ach Dasiet! Sie hatte der Stadt so

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