Das verhängnisvolle Experiment
fest.
»Sie leben!« sagte Yahiro, der ebenfalls ihre Wärme spürte. »Natürlich leben sie«, gab er zurück. »Doch was bedeutet das schon? Auch Würmer leben!« Er beugte sich nieder und berührte eine der Blauen an der Schulter. Durch den florartigen Stoff fühlte er nackte Haut, die glatt war und kühl. Zu kühl. Der Eindruck, Lebendiges, Blutvolles zu berühren, blieb aus. »Sie leben«, wiederholte Yahiro. »Und sie sind doch wie tot.«
So war es in der Tat. Die Herzen der Neutren schlugen zwar, aber die Frequenz war erheblich herabgesetzt. Und die Körpertemperatur lag weit unter dem Wert, den man am Vormittag gemessen hatte. Die Muskeln der Schlafenden fühlten sich an, als bestünden sie nicht aus lebender Substanz, sondern als wären sie aus Wachs gegossen. Dies hier ähnelte dem anabiotischen Zustand der Fernastronauten. Nur hatte diese Anabiose wohl ganz andere Gründe und vor allem auch andere Ziele.
Auf diesem Planeten geschah etwas Unmenschliches. Hier gab es eine Rasse von Ungeheuern, ein besser passender Begriff fiel ihm nicht ein, und diese Ungeheuer unterjochten die Blauen auf sadistische Weise. Das schuf eine Situation, aus der sich für die Menschen der Erde nur eine Verpflichtung ableiten ließ: diese anderen zu finden und ihnen mit allen Mitteln… Er brach seine Gedanken ab, weil er bemerkt hatte, daß er nicht nur gedacht, sondern auch gesprochen hatte. Er sah es an den Augen Yahiros, die voll ungläubigen Staunens auf ihn gerichtet waren. Er mochte Yahiros Augen nicht. Sie waren hell wie die Objekte von Teleskopen, und ihr Blick war so durchdringend, daß eine saugende Kraft von ihm auszugehen schien, die jeden seiner Gedanken, jede Idee auszuforschen versuchte. »Mit allen Mitteln, was?« fragte Yahiro.
Lannert spürte die Spannung wachsen. Er durfte sich keine Blöße geben, denn darauf wartete Yahiro nur. Vielleicht hatte er schon immer darauf gewartet, vom ersten Tag an, seit er unter den Händen der Biotechnologen zu einer neuen Existenzform gelangt war.
Die drüben wußten ganz genau, wen sie schickten. Sie wählten ihre Leute mit Bedacht aus. Eisenharte Burschen mit scharfem Verstand und, wenn es sein mußte, trotzdem mit Samtpfoten. Genau die richtigen, um alle anderen einzuwickeln und bei Bedarf auszunehmen wie Grillputen. Das und nichts anderes verbarg sich hinter der Zurückhaltung Yahiros.
Lannert sah den anderen starr an und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Yahiro schwieg. Stieß nicht nach und grollte nicht. Zog sich hinter den Vorhang seiner Sanftmut zurück und tat, als wäre nichts geschehen. Aber er wußte jetzt wohl, daß er durchschaut war. Und deshalb mußte man damit rechnen, daß er ab jetzt mit doppelter Vorsicht agieren würde. Sein Ziel würde er trotzdem nicht aus den Augen verlieren. Leute wie Yahiro gaben nicht auf.
»Laßt uns endlich gehen«, sagte die kleine Halsum in die Stille hinein. »Dies war der letzte Versuch. Konzentrieren wir uns jetzt auf die Aktion Ring. Marschrichtung genau westlich.« Sie war bemüht, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, und Lannert mußte anerkennen, daß ihr das einigermaßen gelang.
Als die Gruppe hinaus ins Freie trat, schwebte die Libelle über den Bäumen am Rand der Lichtung.
13
VAMOS YAHIRO, geboren in Sikotan, Schule, Mechanikerlehre, Studium am Institut für Eiltransporte in Magadan, Pilot für. kleine Reisen, Testpilot, Absturz über Orechowka, Umfunktionierung zum Multihom, Berufung als Pilot der Känguruhexpedition, Teilnehmer der ersten Landegruppe der Expedition Procyon 4/2.
Er kam gut zurecht mit dem Wald. Nicht daß er ihn nur hingenommen hätte wie etwas Unvermeidliches, wie etwas, an das man sich anzupassen hatte, damit man nicht unterging, nein, sie waren sich wohlgesonnen, er und der Wald.
Da war es völlig unerheblich, daß diese Bäume hier kürzer und dicker waren als die Kiefern und Lärchen seiner Heimat und daß sie andere Blätter in verschiedenen Rottönen trugen. Und es war ohne Belang, daß die Schlingpflanzen anders aussahen als der kletternde Efeu, der die unteren Regionen der Wälder am Fluß Jama beherrschte. Auch diese seltsamen Perlenschnüre hier waren lebende Pflanzen, auch sie drängten zum Licht, wuchsen und starben. Was störte es ihn, daß sie keine Blätter trugen und daß sie sich wie Ketten bunter Lampions von Baum zu Baum wanden, die aussahen, als brauchte man nur einen verborgenen Schalter zu bedienen und der nächtliche Wald würde sich mit
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