Das verhängnisvolle Experiment
während Bosk fieberhaft nach der Fehlerquelle suchte, erhob sich fern über dem jenseitigen Rand des Waldes ein feines Sirren, ein Geräusch, als näherte sich von dort drüben ein riesiger Moskitoschwarm.
Einen Augenblick lang stutzten die noch eben träge dösenden Blauen, dann sprangen sie auf und eilten in ihre Bungalows, durchschritten die ideal schwarzen Flächen, als gäbe es nichts, was sie daran hindern könnte.
Yahiro hatte die Situation wohl am ehesten erfaßt. Er überquerte die Strecke bis zu den bunten Pfählen in wenigen Sekunden. Dann aber blieb er plötzlich stehen, verharrte mitten im Lauf und stand wie angewurzelt, wie erstarrt, noch geduckt zum nächsten Sprung und doch schon an den Boden geschmiedet von einer unbekannten, lähmenden Kraft.
Gleich darauf spürte auch er selber das Ungewöhnliche. Es war, als hätte sich die ihn umgebende Luft in weniger als einer Sekunde zu einem zähen Brei verdichtet, er war unfähig, sich zu bewegen, er sah und hörte zwar, vernahm auch seinen eigenen, pfeifenden Atem, aber er war starr und stumm wie ein Stein.
Über den Waldrand jenseits des Ortes zogen in geringer Höhe zwölf dreieckig geformte Apparate heran, mattgrau, mit lang ausgezogenen Nasen und gepfeilten Flügeln. Summend hingen sie über den Hütten. Das Geräusch war hoch und heftig und flutete aus der Atmosphäre herab wie ein wallender Vorhang.
Fünf Minuten später war der Spuk verflogen. Und im selben Moment, in dem die Dreiecke sich zu entfernen begannen, schlossen sich die Sphären vor den Bungalows. Gleich darauf hetzte Yahiro weiter über den Platz. Lannert bewegte Arme und Beine, ließ den Kopf pendeln und knackte mit den Zangen. Alles war wie vordem, so, als wäre das Ganze wirklich nur ein Spuk gewesen.
Sie standen und blickten auf die Siedlung, auf den resigniert zurückkehrenden Yahiro und auf die Viertelsphären, die sich wie hingezaubert vor die Häuser geschoben hatten.
»Nachtruhe!« sagte jemand und lachte unmotiviert.
»Verordnete Nachtruhe!« bestätigte Lannert. »Von den Pflegern angeordnete Schlafenszeit. Schlaft auch schön!«
Irgendwie waren sie außerhalb dieser seltsamen Welt geblieben, standen neben ihr, ohne sie berühren zu können, wie die Besucher eines Museums, denen dicke Glasscheiben jeden fühlbaren Kontakt verwehrten. Und dabei gab es doch nicht weniges, was an irdische Verhältnisse erinnerte. Nur hatte er das Gefühl, daß sich dieser Eindruck auf ihn allein beschränkte, entweder weil die anderen nicht die notwendigen Antennen besaßen oder weil sie längst verlernt hatten, Vergleiche zu ziehen.
Nichts schien dem menschlichen Gehirn leichterzufallen, als Negatives zu vergessen, beispielsweise einen Krieg. Millionen sterben, gehen unter in Blut und Feuer, werden zerrieben, ermordet, zu Kohle verbrannt, eine Welle von Tränen und Verzweiflung flutet um die Erde. Und niemand ist mehr, der den Krieg nicht verflucht, die Bomben und die Minen, die Mordkommandos und die Hinterhalte.
Frag die Leute ein paar Jahre später. Dann wissen sie fast nichts mehr von Blut und Tränen, aber um so mehr von samthäutigen Weibern in schwülen Kaschemmen. Und sie essen Hamburgers und trinken Bier dazu. Und sie schwatzen davon, daß man Lasersatelliten benötige und Todesstrahlen und daß man im übrigen viel zu viel vom Frieden quassele. So schlimm sei der Krieg ja nun auch wieder nicht gewesen, schließlich sei man ja zurückgekommen, oder? Und den anderen habe man es mal so richtig gezeigt. »Seit Fadingrock halten sie die Schnauze, mein Lieber…«
Ein furchtbarer Mechanismus steuerte das Vergessen. Aber wer könnte ohne diesen Mechanismus leben?
Anscheinend war niemand mehr bereit, sich zu erinnern, wie und weshalb der Mensch das geworden war, als was er sich heute präsentierte. Daß er immer gezwungen war, auf Kosten anderer zu leben, daß er sich zu verteidigen hatte, weil andere ihn angriffen, und daß er andere angreifen mußte, um die eigenen Interessen zu sichern. Sie taten, als wüßten sie nicht, daß der Selbsterhaltungstrieb den einen zum Feind des anderen machte. In ihrem grenzenlosen Optimismus hielten sie gesellschaftliche Absprachen für stark genug, die persönlichen Notwendigkeiten zuzudecken. Sie irrten, weil sie nicht erkannten oder nicht erkennen wollten, daß sich programmierte Verhaltensweisen und Strukturen, deren Existenz die Entstehung des Menschen erst ermöglicht hatte, nicht verdrängen ließen, daß sie immer und überall
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