Das Verheissene Land
die Klauen des Schmerzes sich in seinen Nacken bohrten, schrie er zum Himmel empor und bat um Regen. Doch die wenigen Wolken, die dort oben hingen, waren weiß und dünn wie Federn. Nur Turvi schien sich nicht um den Durst zu kümmern, und das wunderte Bran, denn auch der Einbeinige hatte im Laufe des letzten Tages keinen Tropfen Wasser getrunken. Turvi stand im Bug, und sein Blick wich nicht von der Küste. Er murmelte vor sich hin, bewegte den Kopf hin und her und beugte sich schwankend über seine Krücken.
Bran hing über dem Steuerruder und dachte, dass er nach unten gehen sollte, um bei Tir und dem Kind zu sein. Er hatte Angst, sie könne verdursten, und wenn seine Kräfte reichten, würde er das Schiff auf eine Untiefe steuern und sie an Land bringen. Die Nacht war dem Tag gewichen, doch er wusste nicht, ob dies der zweite oder dritte Tag ohne Wasser war. Bran glaubte sich zu erinnern, dass man nach vier Tagen ohne zu trinken starb. Doch Turvi stand noch immer an der Reling, und Nangors Langschiff trieb direkt vor ihnen. Auch Nangor stand noch am Steuer, aber nur eine Hand voll Ruder schoben das Schiff nach vorne.
Da kletterte Dielan durch die Luke. Er kroch mit einem schlaffen Wasserschlauch auf dem Rücken über das Deck. Bran ließ das Ruder los – das musste ein Traum sein. Doch Dielan beugte sich über ihn und schob ihm die Holztülle zwischen die Lippen. »Storm und Zwei Messer…« Dielan wälzte sich auf die Seite. »Die Brüder… sie haben es gestern aus dem Sand gegraben. Das ist Wasser. Sie hatten es versteckt. Das hat uns am Leben gehalten. Ich wollte früher zu dir kommen, doch wir sind gerudert, und… das ist das letzte.«
Bran würgte einen Schluck Wasser hinunter. Es brannte in seinem Hals. Er hustete und würgte.
»Wir können nicht mehr rudern«, sagte Dielan. »Wir sind zu erschöpft, Bran. Wir können nicht mehr.«
Da schlugen Turvis Krücken auf das Deck. Der Einbeinige hinkte zwischen sie und stellte sich ans Ruder.
»Ich bin kein Seemann.« Der Einbeinige drückte das Ruder von sich weg. »Doch wenn es sonst niemand wagt, werde ich das Schiff an Land steuern. Dort hinten gibt es Wald, ihr Söhne Febals. Wald und Wasser.«
Der Einbeinige rief Nangor, und als Bran sich aufrappelte, sah er, dass der Seeräuber ihnen folgte. Turvi schlug einen Kurs direkt auf die Schären ein und begann die Männer unter Deck mit Hohn und Spott zu überschütten. Das Felsenvolk begann wieder zu rudern. Turvi klemmte sich die Krücken unter die Achseln und legte beide Hände ans Steuerruder.
Bran stützte sich an die Reling, als das Schiff in die Brandung glitt. Die Seehunde glitten rasch ins Wasser, als die Tigam in die schmale Fahrrinne mit tieferem Wasser gedrückt wurde. Dann zog der Einbeinige das Ruder wieder zu sich und das Schiff schwang nach steuerbord. Der Kielbalken kratzte über Grund, doch die Wellen hoben das Schiff wieder an und trugen es dem Land entgegen.
Die Küste war hier anders. Die verwunschenen Klippen waren nicht mehr so zahlreich und zwischen ihnen schwappten die Wellen über gelbliche Strände. Bäume wuchsen bis dicht an den Sand heran, und manchmal ragten sie so weit vor, dass die belaubten Zweige das Wasser berührten.
Wieder schlug der Kielbalken am Grund auf. Der Einbeinige schrie und jammerte, und als die nächste Welle am Schiff zerrte, trieben es die Ruder weiter. Da lachte Turvi und Bran erkannte, dass sie die Schären passiert hatten. Einen Pfeilschuss vor dem Bug öffnete sich das Land zu einer schmalen Bucht, in die Turvi das Schiff steuerte.
Bran schwankte in den Bug, während das Schiff zwischen den turmhohen Felsen hindurchglitt. Er schlang das Tau von den Haken am Bugsteven, denn er wusste, dass die Männer nicht mehr genug Kraft hatten, das Schiff auf den Strand zu rudern. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte setzte er sich rittlings auf die Reling. Der Strand lag einen knappen Steinwurf entfernt. Er sah den Sandboden unter dem Bug und rollte sich das Seilende um den Unterarm.
Der Stoß warf ihn über Bord. Bran ruderte mit den Armen, als sich das Wasser über ihm schloss. Die Wellen zogen ihn nach draußen. Er spürte den Boden unter seinen Stiefeln und stieß sich in die Richtung ab, in der er die Oberfläche vermutete. Mit einem Arm berührte er etwas Hartes, Schleimiges. Dann schob sich der Schiffsrumpf über ihn. Bran schloss die Augen und wartete darauf, dass ihn der Kielbalken am Boden zerquetschte, doch die Wellen rissen ihn los und
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