Das Verheissene Land
draußen.
Die Tirganer waren ein Volk des Meeres. Seit ihre Ahnen von Arborg aus auf der Suche nach neuem Land nach Osten gesegelt waren, um neues Land zu finden, war das Meer ihr Reich gewesen. Hier fingen sie Schwertfische und Haie und zogen Netze voller Schwarmfische an Deck ihrer Boote. In den flachen Zonen im Schärengarten sammelten sie Tang, den sie an Dachbalken, Stöcken und Trockengestellen zu Brennmaterial trockneten. In den starken Strömungen vor Tirgas Küste herrschte das Meer. Aus seiner Tiefe schenkte es ihnen Reichtum und mit seinen Stürmen brachte es den Tod.
Über Generationen auf dem Meer hatten die Tirganer gelernt, durch Wellen und Wind zu steuern. Die Langschiffe waren ihr ganzer Stolz, und die Tirganer sagten gerne, dass kein Sturm diese Schiffe versenken könnte. Es waren Drachen, dazu geboren, sich durch Orkane und Sturmfluten zu pflügen. Es waren die Transportmittel, mit denen die Tirganer zu den Inseln im Norden oder den Stränden im Osten gelangten, wo die Wälder voller Hirsche und Wildschweine waren. Und mit diesen Langschiffen segelten sie oft nach Arborg, wo ihr Brudervolk lebte. Denn die Tirganer trugen ihren Namen nach der Stadt, die ihre Vorväter erbaut hatten, nicht nach einem Häuptling oder Geschlecht. Sie waren Arer, eines der drei Völker von Ar. In Arborg lebten die Arborger, und im Landesinneren bewachten die Old-Myrer die Grenzen von Ar gegen die Reiterstämme im Süden und die Vandarer im Westen. Die Tirganer segelten mit ihren Langschiffen an der Küste entlang und kämpften oft in weit entfernten Fahrwassern gegen Tuurer und Kretter. Denn Cernunnos Volk war ein Volk von Kriegern und südlich des Blutsundes waren sie auf den Meeren für ihre Stärke berüchtigt.
Bran wusste all das. Er hatte selbst mit ihnen gekämpft und viele ihrer Feinde getötet. Denn Tir war Visikals Nichte und der einzige, lebende Abkömmling des Skergs. Visikal, der mächtigste der drei Skerge von Tirga, verlangte Brans Treue als Tausch gegen die Tochter seines toten Bruders, und die einzige Treue, die Visikal kannte, war die Treue des Kriegers zu seinem Volk, seinem Schwert und seinem Gott. Deshalb war Bran mit ihnen im letzten Herbst auf ihren Langschiffen in den Krieg gezogen. Hagdar hatte ihn begleitet und in der ersten Schlacht mit ihnen gekämpft, doch er wurde von den Pfeilen der Aarder getroffen. Vielen Männern hatte Bran danach das Leben genommen. Er spürte sie noch unter seinen Händen, und während er in Richtung Hafenplatz ging, hörte er die Bronzetrommeln, die Flöten und die Stimmen der Tirganer, und er erinnerte sich an den Abend, an dem die Langschiffe zuletzt hier gelegen hatten. Auch damals waren die Tirganer um die Feuer getanzt. Sie hatten gelacht und gesungen und aus ihren Weinschläuchen getrunken. Sie hatten den Kriegszug gefeiert, der vor ihnen lag, und die Ehre, die sie gewinnen würden.
»Erinnerungen«, murmelte Bran. Sie schienen ihn nie mehr in Frieden lassen zu wollen. Doch er wollte nicht an das Vergangene denken. Er wünschte sich einen schönen Abend mit Dielan, Turvi und der Mannschaft.
Bran blieb an einem Tauende stehen und sah zwischen den tanzenden Menschen hindurch. Flammen spielten in den zahlreichen Feuerstellen. Die Frauen drehten die Grillspieße, von denen das Fett troff und im Feuer verzischte. Die Männer trugen ihre saubersten Umhänge und viele hatten sich den im Winter gewachsenen Bart abrasiert. Kinder sprangen zwischen den Buden der Händler mit Holzschwertern und Schilden umher und fochten und heulten. Tileder und Skipper lehnten sich über die Relings der Schiffe, winkten Bekannten zu und lachten miteinander. Dies war eine gute Zeit für die Tirganer, und Bran wusste das. Er war jetzt selbst ein Mann des Meeres. Bald würden die Männer sein eigenes Schiff aufs Wasser hinausziehen und es in den Hafen rudern. Visikal hatte ihm einen eigenen Liegeplatz unmittelbar vor der Bude des Bäckers zugewiesen. Die Trossen hingen bereits an den Eisenhaken und warteten auf die Tigam. Und hier im Hafen würde das Schiff lange liegen, denn die Zeit des Aufbruchs war noch nicht gekommen. Er hatte viel darüber nachgedacht, und mehr als einmal dachte er, dass es das Beste sei, für immer in dieser Stadt zu bleiben. Hier war Tir zu Hause. Und hier bekam sein Volk alles, was es brauchte. Sie konnten selbst hinausfahren, fischen und Tang sammeln und mit der Zeit würde die Stadt zu ihrer Heimat werden, wie es einst die Felsenburg gewesen war. Doch die
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