Das Verheissene Land
an Flötenspielern und kichernden jungen Mädchen vorbei, ehe sie endlich den lehmigen Pfad erreichten. Virga ließ sein Wasser an Ort und Stelle ins Gras rinnen, ohne sich um den Lärm vom Hafen zu scheren. Bran ging einen Steinwurf weiter die Anhöhe empor, wo ihn die Dunkelheit einhüllte. Dort tat er es Virga nach, während ihm der Nachtwind, der vom Meer aufs Land wehte, über die Stirn strich. Der Wind linderte die Schmerzen, die hinter seinen Augen brannten, und er dachte, dass das Meer ein guter Ort für einen wie ihn war. Dort draußen fand er Frieden von seinen Klauen. Dort, im Land der Wellen, war er frei.
Bran ließ Virga zurück zum Fest wanken, während er selber auf die Spitze der Anhöhe emporstieg. Er wollte das Schiff sehen. Bald würde die Flut kommen und dann hob das Wasser das Achterende des Schiffes an, als wolle es es ins Meer hinausziehen. Manchmal war er mitten in der Nacht aus dem Zelt gekrochen und hierher gerannt, einzig um am Steuer zu stehen und die Wellen unter dem Schiffsrumpf zu spüren. Beim zweiten Vollmond, nachdem er aus dem Krieg zurückgekommen war, hatte er Nangor hier getroffen. Der Seeräuber war auf den Achtersteven geklettert und spähte über das nächtlich stille Meer. »Du bist ein Seemann geworden, wie ich«, sagte er, als Bran an Deck kletterte. »Du kommst hierher, um das Meer zu spüren, und sehnst dich nach fernen Horizonten.« Und Bran stellte sich neben Nangor und sah gemeinsam mit ihm aufs Meer hinaus.
Als er den Gipfel der Anhöhe erreichte, blieb er stehen und blickte zu dem dunklen Himmel empor. Der Nordwind trieb graue Wolken heran. Sie sahen wie Wollfetzen aus und schossen wie dicke Pfeile nach Süden. In der Felsenburg hätte er sie als Warnzeichen für einen bevorstehenden Sturm gedeutet, doch hier in Tirga wusste er das nie sicher zu sagen. Wenn der Morgen kam, konnten die Wolken bereits wieder verschwunden und die Winde vollkommen abgeflaut sein. Niemand, nicht einmal die Fischer, wagten es, sich nach den Wolken zu richten.
Bran folgte weiter dem Pfad. Da entdeckte er die drei Gestalten am Strand. Die Männer waren unter ihren dunklen Umhängen nur schemenhaft zu erkennen, doch er sah, dass sie sein Schiff betrachteten.
»Wer dort?« Er grüßte sie mit ausgestreckten Handflächen, als Zeichen der Freundschaft und des guten Willens.
Die drei wandten sich ihm zu. Die Schwertschäfte glänzten an ihren Gürteln. Nur selten trugen die Tirganer während eines Festes ihre Waffen. Bran hastete den Hügel hinunter. Die Männer grüßten ihn, wie er sie gegrüßt hatte, doch Bran hatte sie bereits erkannt. Es waren die drei Skerge von Tirga, die Heerführer und Häuptlinge der Stadt.
Sie bestimmten, wann das Korn geerntet und wann die Schiffe für den Winter an Land gezogen wurden. Und sie entschieden auch, wann Tirgas Männer in den Krieg zogen.
»Erkennst du denn den Onkel deiner Frau nicht?« Visikal schob seinen Daumen unter den juwelenbesetzten Gürtel. Er war ein groß gewachsener Mann, mit langen, knochigen Armen und einem Gesicht, in dem zahlreiche Schwertkämpfe und stürmische Ruderwachen ihre Spuren hinterlassen hatten. Die Nacht lag über dem Strand, doch Bran erkannte ihn an seinem langen Oberlippenbart, aus dem er immer den Wein wischte, wenn er in seiner Burg am Kamin saß und trank. Und das tat er oft.
»Es ist dunkel«, sagte Bran. »Und der Krieg hat mich gelehrt, in allem Unbekannten eine Gefahr zu sehen.«
»Er glaubte wohl, du sähest aus wie ein übler Räuber.« Vare, der breitschultrige Mann neben Visikal, grinste in seinen weißen Bart. Er war der älteste der drei Skerge und seine gewaltigen Fäuste trugen unzählige Narben.
Visikal trat zu Bran vor und legte ihm den Arm um die Schultern. »Wir sehen uns dein Schiff an.«
»Der Querbaum ist gute Arbeit.« Ylmer, der jüngste der Skerge, deutete auf den langen Baum, der quer über der Reling lag. Er schlug seinen Umhang zurück und Bran bemerkte, dass er eine Lederbrünne und seinen Waffengurt über der Brust trug. Das sah ihm ähnlich, denn Ylmer lebte wirklich für den Krieg. Das Gesicht hinter den langen Haaren hatte harte Züge und es hieß, dass Ylmer der mächtigste und blutrünstigste Skerg in der Geschichte der Arer werden würde, wenn er nicht vor Visikal und Vare fiel.
»Mein Bruder und ich haben die Zurrrings angebracht.« Bran spürte keine Furcht vor diesen drei Männern, denn sie hatten sich als Freunde erwiesen und immer mit Respekt über ihn gesprochen. Er
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