Das Verheissene Land
wollten die Namenlosen ihn zu sich rufen. Tir hatte in dieser Zeit Tag und Nacht bei ihm gesessen, sie hatte ihn gepflegt, wie nur eine Galuene es kann, ihm Kräuter gegeben und für ihn gebetet. Sie hatte das Leben in dem schwachen Körper bewahrt. Wie in den ersten Wochen, nachdem er, verwundet von Pfeilen und geschwächt durch den Blutverlust, von der Schlacht zurückgekommen war. Und als der erste warme Wind über das Meer herangefegt war, war Hagdar wieder zu sich gekommen. Ein weiteres Mal hatte er gegen den Tod gekämpft und ihn bezwungen.
»Sieh dir die Narbe an, Bran!« Gar, der Zweitälteste Sohn, zog das Hemd seines Vaters zur Seite und deutete auf die runde Narbe unter dem Schlüsselbein. Sie war noch immer rot und erhaben, aber die Haut war endlich zusammengewachsen.
»Ja«, brummte Hagdar zufrieden. »Jetzt sind wir beide hässliche Krieger.« Er zeigte auf Bran und grinste. »Aber damit muss jetzt Schluss sein! Ich will keine Zweikämpfe mehr, keine weiteren Kriegszüge!«
Bran legte die Hand auf seine Brust. »Ich habe Visikals Forderung erfüllt. Tir ist die meine.«
»Und du tätest gut daran, bei ihr zu sein!« Linvi zupfte Hagdars Hemd zurecht. »Sie braucht dich jetzt, weißt du. Es dauert nicht mehr lange, bis das Kind kommt.«
»Dein Sohn wird ein großer Jäger werden.« Hagdar nahm ein Stück Brot von der Decke, brach einen Bissen ab und steckte ihn sich in den Mund. »Und mit dir als Vater und Tir als Mutter ist eine gute Grundlage für einen späteren Häuptling gelegt.«
»Und wenn es eine Tochter wird?« Linvi hob den Jüngsten zu sich herüber. Hagdar zog die Augenbrauen hoch. Bran sah, dass er etwas erwidern wollte, doch Linvi stopfte ihm das Brot in den Mund. »Iss«, sagte sie. »Das bekommt dir besser als unsinniges Geschwätz.«
Hagdar kaute lange und verbissen auf dem Brot herum, und Linvi reichte Bran einen Grillspieß mit einem neuen Stück Fisch. Er drehte ihn sachte über der Wärme, während Hagdar schlurfte und schmatzte. Die Söhne verkrochen sich unter ihren Decken, abgesehen von Gar, der sich neben Bran setzte und an dessen Messerscheide herumzuspielen begann. Bran legte die Hand auf den Schaft. Er hatte die Kinder flüstern hören. Wenn er mit Dielan am Feuer saß, konnten sie sich anschleichen und ihnen lange zuhören. Sie hatten ihre eigenen Geschichten darüber, was er im Krieg erlebt hatte, und in diesen Geschichten kamen Seeschlangen vor, die er mit bloßen Fäusten getötet hatte, und Zauberer und Riesenbären, die ihn bei der Wanderung über das Hügelland verfolgt hatten. Er hatte berichtet, was in Vandar geschehen war, doch die Fantasie arbeitete rasch in den kleinen Köpfen. Narien, die Tochter von Ken und Narie, war die größte Geschichtenerzählerin von allen. Sie war erst acht Winter alt, doch er hatte gesehen, wie die Kinder um sie herum zusammenliefen. Linvi hatte von den Geschichten erzählt, die sie sich ausdachte. Narien hatte für jede seiner Narben eine eigene Geschichte und seine Doppelaxt war ein Adler, den Kragg zu Eisen verwandelt hatte.
»Die alte Mannschaft hat mich gebeten, zum Fest zu kommen.« Bran zog das Messer aus der Scheide und ließ es Gar halten. Der Junge drehte und wendete es im Licht des Feuers und befühlte mit seinen kleinen, weichen Fingern die Klinge. Linvi seufzte resigniert und nahm es ihm ab, doch Hagdar kümmerte sich kaum darum.
»Ich könnte jetzt auch ein Fest gebrauchen«, seufzte er. »Aber ich bin ein kränkelnder Mann.« Er neigte den Kopf zur Seite und lauschte dem Wind, der flüsternd mit der Zeltplane spielte. »Eine kräftige Böe aus dem Norden reicht schon, und ich fliege davon.«
Bran riss sich ein Stückchen Fisch vom Spieß und befestigte den Umhang wieder vor seinem Hals.
»Ich habe gehört, wie Dielan und Turvi vor einer Weile über den Platz gewandert sind. Die sind bestimmt zum Fest gegangen.« Linvi reichte ihm das Messer, ehe sie sich wieder neben Hagdar setzte und mit den Fingern durch seine struppigen Haare strich. »Mein Mann muss jetzt bei mir sein. Ich werde ihn schon dick und gesund machen, ehe wir aufbrechen.«
Bran steckte sich das restliche Fischfleisch in den Mund. Dann stand er auf und reichte Hagdar über das Feuer hinweg die Hand. Hagdar nahm die Herausforderung an. Seine kräftige Faust drückte zu, und klug aus Erfahrung ließ Bran los. Hagdar lachte, als Bran seine schmerzenden Finger ausschüttelte. Bran lächelte ihn an, schob das Türfell zur Seite und kroch nach
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