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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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an die alten Zeiten dachte, kam es ihm wie ein ganzes Leben vor. Es waren Erinnerungen aus einem anderen Leben, aus einer anderen Welt.
    »Der Winter wird in diesem Jahr früh kommen.« Dielan strich seinem Sohn durch die schwarzen Haare. »Schon merkwürdig, Bruder. Es kommt mir gar nicht so lang her vor, dass wir aus Tirga aufgebrochen sind.«
    Bran zählte an den Fingern ab. »Es sind mehr als drei Monde vergangen. Wir haben bald vier Mondwechsel auf dem Meer erlebt, Dielan.«
    »Als wir die Ruder zum ersten Mal ins Wasser tauchten, war es Frühling. Der Sommer ist viel zu schnell vergangen.« Dielan schnupperte in den Wind. »Herbst und Kälte liegen in der Luft. Wir sollten noch einen Sommermond haben, Bran.«
    »Wir sind weiter im Norden. Vielleicht kommt der Winter früher in dieses Land, wie in Krugant oder auf den Ebenen nördlich des Meeres.«
    Dielan putzte Konvai die Nase und führte ihn zurück zu Gwen. Bran blieb sitzen, denn er hatte niemanden, zu dem er hätte gehen können. Er lauschte dem Rauschen der Baumkronen, dem Plätschern der Wellen, die den Schiffsrumpf umspülten, und dem leisen Flüstern der Frauen.
     
    Der Mond stand tief, als Tir endlich in der Luke auftauchte. Bran hatte von der Reling aus die Waldgeister beobachtet, die noch immer an der Glut saßen. Doch jetzt rief Tir nach ihm, und die Tirganer standen auf und traten näher.
    »Kianna hat Fieber.« Tir nahm Brans Hand. Dann richtete sie ihren Blick auf Chogg und Sortsverd, Zwei Messer und Storm und Virga und all die anderen, die ihnen aus Tirga gefolgt waren. »Ich glaube nicht, dass sie die Nacht überleben wird.«
    Die Tirganer senkten die Blicke. Virga verbarg das Gesicht in den Händen.
    »Aber gibt es denn nichts, was du tun kannst?« Cergan trat vor. Sein gebrochener Arm ruhte noch immer in der Schlinge. »Du bist doch auch eine Galuene, Tir! Du kannst sie heilen.«
    Tir versuchte nicht, die Tränen zu verbergen, die über ihre Wange rannen. »Cernunnos verlangt nach Kianna«, sagte sie. »Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Doch sie hatte bereits Blut in den Augen, als ich sie fand.«
    Sie wandte sich von ihnen ab, und Bran sah, wie sie sich die Hand vor den Mund hielt und die Augen zusammenkniff. Dann holte sie tief Luft und kletterte wieder unter Deck.
    Bran folgte ihr. Er wusste, dass sie ihn jetzt brauchte.
    Tir hatte die Talglichter unter Deck angezündet und den Vorhang vor dem Bugraum zur Seite geschlagen. Kianna lag auf Tirs eigenem Lager. Tir hatte sie mit Decken und Fellen gestützt.
    Sie knieten neben Kianna nieder und Tir benetzte einen Lappen in einer Schale mit Wasser. Kiannas rundes Gesicht war blass und verschwitzt. Als das Wasser aus dem Lappen auf ihre geschlossenen Augen rann, zuckte sie zusammen und warf den Kopf zur Seite. Rote Tropfen sickerten aus ihren Augenwinkeln. Der harsche Geruch von Schweiß und Krankheit kroch aus den Laken. Bran erinnerte sich an diesen Geruch. So hatte es bei den Schlachten an der vandarschen Küste gerochen. Das war der Geruch des Todes.
     
    Die Waldgeister waren am Feuer sitzen geblieben, als das Felsenvolk auf die Schiffe ging, und Loke nutzte die Gelegenheit, den Krug herauszuholen und in Ruhe zu trinken. Er war erschöpft, denn die Wanderung war lang gewesen, und jetzt hatte er endlich die Boottiere erreicht. Sie würden ihn und die Lehrlinge in ein Land weit im Norden bringen, ein Land, das so weit entfernt lag, dass nicht einmal Gamle wusste, wie sie von dort wieder zurück in den Westwald kommen sollten. »Versucht, nach Süden zu laufen«, hatte der Alte gesagt. »Du bist ein erfahrener Trolljäger und ein großer Wanderer, Loke. Du findest schon zurück.«
    Loke nahm einen kräftigen Schluck aus dem Krug. Er fand Trost in dem Gebräu, und wenn er trank, verschwand dieses seltsame Gefühl von Unsicherheit. Diese Schwäche war mit den Jahren gekommen, und Loke wusste, dass er diese Gefühle gegenüber seinen Lehrlingen niemals zeigen durfte. Und so nahm er große Schlucke, wischte sich seinen Bart mit dem Ärmel ab und rülpste laut und entschlossen in die Glut. Weder Bile noch Vile oder Bul schienen davon Notiz zu nehmen. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich auf die Boottiere gerichtet, als Bran das Volk der Großen zu sich gerufen hatte, und seither hatten sie sich nicht mehr bewegt.
    Der Trolljäger mit dem weißen Bart spähte zu den Menschen an Deck hinüber und erinnerte sich an das letzte Mal, als er zusammen mit seinen Lehrlingen an Bord eines Boottieres

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