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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Leiter runtergeklettert, gefolgt von Tir. Bran streckte die Hand nach ihr aus, aber sie löste zuerst seinen Gürtel und zog ihm das Wams aus. Dann befreite sie ihn von Stiefeln und Hose und knotete ihm sogar den Lendenschurz auf. Bran kümmerte es wenig, dass er nackt war, als die Frauen kamen und ihn in Decken einwickelten, denn jetzt begann die Wärme in seinen Körper zurückzukehren. Tir legte ihn vorsichtig auf die Seite und rieb seine Finger. Hagdar hockte sich neben die Feuerstelle und schlug Funken in ein Bündel Trockentang. Bran knirschte mit den Zähnen, als es in seinen Füßen zu prickeln begann. Die Wärme brannte sich in ihn hinein und verjagte die Kälte mit stechenden Pfeilen.
    »Oh ja, das tut weh«, sagte Hagdar und blies Leben in die Glut. Die Männer standen hinter ihm und nickten. Loke stellte sich neben ihn. Das Gesicht des Waldgeistes sah in dem schwachen Schein des Talglichts faltig und zerfurcht aus.
    Tir hielt Bran fest, als seine Hände und Füße von Krämpfen geschüttelt wurden. Sie sprach tröstende Worte, aber Bran brauchte keinen Trost. Das war ein wohltuender Schmerz. Tir sah ihn an und haarfeine Fältchen zeichneten sich in ihren Augenwinkeln ab. Er spürte ihre Finger an seinem Nacken.
    Als die Wärme den letzten Rest Frost aus Brans Körper verjagt hatte, drückte Tir ihn an sich. Bran war erschöpft und hatte sich unter den Decken zusammengerollt. »Ich werde immer bei dir sein, Bran«, flüsterte sie in sein Ohr. Diese Worte waren nur für ihn bestimmt, für niemanden sonst.
     
    So verging der Tag. Die Langschiffe glitten weiter durch den dichten Nebel, vorangetrieben durch die Ruderschläge der Männer und Frauen. Turvi stand im Bug und hielt nach Eisbergen Ausschau, die Waldgeister schliefen leise schnarchend zwischen den Tonnen am Mast, und Kaer lehnte am Achtersteven und hielt die Tigam im Kielwasser von Nangors Schiff. Tir war die einzige Frau an Deck, und als sie unter Brans Pelzumhang zu frieren begann, dachte sie, dass sie besser nach unten gehen und sich am Feuer aufwärmen sollte. Nachdem das Schiff die Stromscheide überquert und die Flutwelle Bran über Bord gespült hatte, war es schlagartig kälter geworden. Tir legte den Umhang noch sorgfältiger um ihren Sohn und ging an die Reling. Die Bronzeschilde waren von Wassertropfen überzogen wie große Blätter von Morgentau. Ihre Haare waren ganz feucht von dem Nebel, der sich auf ihre Haut legte und sie frieren ließ.
    Tir schaute in das Wasser, das am Rumpf vorbeischoss. Die Dünung war flach und das Meer eher schwarz als blau. Die Ruder stachen in das schwarze Wasser, trieben wie graue Schatten direkt unter der Oberfläche vorbei, um zwei Armlängen weiter hinten wieder aufzutauchen. Dann bewegten sie sich knarrend wieder nach vorn, um für den nächsten Schlag in das schwarze Wasser zu tauchen. Sie sind rastlos, dachte Tir. Genauso rastlos wie dieses Volk, genauso rastlos wie Bran.
    Sie wandte den Blick zu dem endlos grauen Schleier im Westen. Es tat ihr weh zu sehen, wie die Reise ihn verändert hatte. Er sprach kaum noch mit ihr, und wenn er von einer der unzähligen Wachen am Steuerruder zu ihr kam, schlief er mit vor Schmerz faltiger Stirn ein. Und das wunderte sie gar nicht. Sein Volk erwartete von ihm, dass er das Land aus seinem Traum fand. Sie legten ihr Schicksal in seine Hände. Und dennoch zweifelten sie an ihm. Ständig steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten. Einige sprachen davon, einen neuen Häuptling zu wählen, das Schiff zu wenden, um weiter im Süden einen guten Hafen zu suchen. Andere wollten ganz umkehren und durch den Sturmrand zurück nach Tirga segeln. Sie flüsterten das leise, wenn sie glaubten, dass sie nicht zuhörte. Nur Hagdar, Dielan und Turvi hielten noch immer zu Bran. Was die Mannschaft auf Nangors Langschiff sagte und dachte, wollte sie lieber gar nicht wissen. Aber sie fürchtete, dass die Tirganer sich auf die Seite derer stellen würden, die zurück nach Tirga wollten. Und Velar hatte Bran zu keinem Zeitpunkt als Häuptling anerkannt.
    Das Kind weinte leise. Tir wiegte es und strich ihm über das glatte Haar. Ulv wusste nichts von dem Kummer seines Vaters. Bran wusste es ja selbst kaum, und sie erzählte ihm nichts vom Zweifel seines Volkes. Bran hatte auch so schon genug Sorgen. Jetzt musste er erst einmal die Schiffe an Land bringen. Die Leute wollten endlich die Berge aus seinen Träumen sehen. Dann würden sie nicht länger zweifeln.
    Turvi schniefte. Tir sah zu

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