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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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    Als die zwei Jungen zwischen den Tonnen hervorkrochen, rief Bran sie zu sich. Sie rannten um die Wette durch die Pfütze, spritzten Wasser unter die Luke und hasteten weiter, als ihnen eine Faust durch den Spalt drohte. Zu guter Letzt schlichen sie um seine Stiefel herum. Sie trugen abgenutzte Lodenhosen und Wollumhänge, die mit Spangen vor ihren Hälsen befestigt worden waren.
    »Dürfen wir deine Narbe sehen?« Kais Sohn zupfte an seinem Umhang.
    Bran lächelte und schlug seine Kapuze zurück. Der Junge war noch zu klein, um rücksichtsvoll zu sein, hingegen neugierig wie ein kleiner Fuchs. Bran hockte sich hin und schob die Haare auf der rechten Seite seines Kopfes nach hinten. Die Jungen starrten ihn wie immer, wenn er ihnen seine Verletzung zeigte, mit aufgerissenen Mündern an. Kais Sohn streckte seine kleinen Finger aus. Bran ließ ihn die taube, weiße Haut der Narbe betasten. Der Junge fuhr mit dem Finger über sein abgeschnittenes Ohr und neigte den Kopf mit einem Grinsen zur Seite.
    »Findest du das nicht eklig?«, wunderte er sich.
    Bran erhob sich und setzte seine Kapuze wieder auf. Er wollte den Jungen von dem Kampf in der Felsenschlucht erzählen. Er wollte sie mit zurücknehmen zu dem Tag, an dem die Vokkerkeule ihn getroffen hatte. Er wollte ihnen den blutbefleckten Schnee zeigen, sie laufen lassen, mit Noj auf ihren Schultern, und sie das Blut des Verwundeten auf ihren Rücken spüren lassen. Doch er wusste, dass die Jungen das nicht verstehen würden. Deshalb richtete er seinen Blick auf das Meer, das vor dem Bug lag, holte tief Luft und schwieg.
    Sie hatten nicht genug Geduld, um einfach tatenlos dazustehen, und gingen zur Reling hinüber. Lillevord stellte sich auf die Zehenspitzen, denn er war nicht sonderlich groß. Bran blickte auf seine Haare hinab, die jeden Sommer heller wurden. Bald würde er aussehen wie sein Großvater Turvi.
    »Mutter sagt, Nangor sei ein Seeräuber.« Kais Sohn, der größer als Lillevord war, sah zwischen den Schilden hindurch zum anderen Langschiff hinüber.
    »Nari hat Recht«, sagte Bran. »Nangor ist als Seeräuber gesegelt. Aber er ist kein böser Mann.«
    Die Jungen sahen einander an. Lillevord runzelte die Stirn, als ob er nicht verstünde, und erneut sah Bran Turvis Gesicht in dem Antlitz des Kleinen, denn sowohl Kaer, der Sohn des Einbeinigen, als auch Lillevord hatten seine Züge geerbt. Doch wo Turvi seine Stirn vor Weisheit und Sorgen in Falten legte, tat Lillevord dies aus Neugier und Verwunderung.
    »Wusstet ihr, dass Nangor aus demselben Ort stammt wie die Frau meines Bruders?« Bran schüttelte das Wasser von der Kapuze und sah zu den beiden hinab. »Er ist in Kajmen aufgewachsen, genau wie Gwen. Doch er ist schon als Junge von dort fortgegangen. Er war kaum älter als ihr jetzt.«
    Kais Sohn schluckte voller Ernst. Lillevord hielt sich an einem Bronzeschild fest und kletterte auf die Reling, um besser sehen zu können, und Bran packte ihn am Gürtel.
    »Kannst du schwimmen?« Er ließ das Ruder los. Lillevord biss sich auf die Unterlippe.
    »Kann er nicht.« Kais Sohn grinste. »Aber das traut er sich nicht zu sagen.«
    Lillevord drehte sich um und versuchte seinen Freund zu schlagen, doch Bran hielt ihn fest.
    »Ganz da hinten ist Land.« Er deutete auf den grauen Schatten unter den Wolken im Süden. »Es ist weit bis dort. Und das Meer ist voller Seeschlangen, und die mögen kleine Jungs genauso gern wie ihr Blaubeeren mit Honig.« Bran musste lächeln, denn Lillevord starrte wie verhext ins Wasser. Seit er aus dem Krieg zurück war, hatten die Jungs immer wieder nach Seeschlangen gefragt, und es nutzte nichts, ihnen zu sagen, dass das bloß Geschöpfe aus alten Sagen seien.
    »Sie haben Zähne wie Schwerter und Augen wie riesige Schilde.« Er deutete mit der Hand zum Bug und senkte die Stimme. »Dort draußen warten sie auf uns. Fallt nicht ins Wasser, denn dann ziehen euch die Seeschlangen in die Tiefe!«
    Bran stellte Lillevord wieder auf das Deck. Die zwei Jungs hasteten zur Luke, und noch ehe er die Hände ans Ruder legen konnte, hatten sie sie hinter sich geschlossen.
     
    Das Felsenvolk war ein Volk von Jägern, und wie die meisten Raubtiere wurden sie bei dem grauen Wetter müde. Die Männer dösten in den Liegegruben im Sandgraben und die Frauen saßen am Feuer und flickten Hosen und Umhänge. Sie schürten die Glut und sprachen leise miteinander, denn sie alle hatten Angst vor dem mächtigen Meer und wollten

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