Das Verhör
außer ihren Zweifeln an seinen Verhören an Sarah Downes sonst noch störte. Irgendwie erinnerte sie ihn an Lottie. Nicht auf den ersten Blick. Sarah Downes war kühl und ausgeglichen und elegant. Lottie war chaotisch gewesen, ihr Aufzug oft unordentlich, vor allem nach ein paar Margaritas mit ihren Freundinnen. Außerdem war sie allen und jedem gegenüber warm und herzlich gewesen, von streunenden Katzen angefangen bis zu alten Männern auf Parkbänken.
Aber die Skepsis, der zweifelnde Tonfall in Sarah Downes' Stimme war ein Widerhall von Lottie und dem letzten, traurigen Gespräch, das sie am Abend vor ihrem Tod geführt hatten.
»Ich kenne dich nicht mehr«, hatte Lottie gesagt. »Wer bist du eigentlich?«
Sie hatte offensichtlich getrunken, und deshalb hatte Trent leichthin geantwortet: »Du kriegst, was du siehst.«
»Ich bin mir nicht sicher, was ich sehe«, parierte Lottie und war urplötzlich auf dem Posten, mit funkelnden Augen, die Stimme klanglos und entschieden.
Trent, von dieser blitzartigen Verwandlung wie vor den Kopf geschlagen, dachte an die Tage und Nächte fern von zu Hause, an die Zeit, die er in der Dienststelle, auf der Straße unterwegs zu Verhören verbracht hatte, an die endlose Jagd nach den richtigen Antworten. Er erkannte, wie sehr er sie vernachlässigt hatte, in der Annahme, sie wäre zufrieden mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Tierasyl, den nachmittäglichen Drinks mit ihren Freundinnen, den Büchern, in die sie sich vertiefte.
»Aber, warte«, sagte sie, »ich weiß doch, wer du bist.« Dabei wurde ihre Stimme lauter, als hätte sie eine erstaunliche Entdeckung gemacht. »Du bist ein Verhörspezialist. Du führst Verhöre durch. Und du bist, was du tust.«
Du bist, was du tust.
Wie eine Anklage.
Das war ihr letztes Gespräch gewesen. Sie hatte schon geschlafen, als er ins Bett gegangen war, nachdem er zuvor noch seine Notizen zum Fall Lane durchgesehen hatte, und sie hatte immer noch tief und fest geschlafen, als er früh am nächsten Morgen zum Präsidium aufbrach. Als es Abend wurde, stand er an ihrem Krankenhausbett, hielt eine hoffnungslose Wacht. Sie war das Opfer eines Verkehrsunfalls geworden, eines lächerlichen Zufalls. Ein unbedeutender Zusammenstoß, bei dem sich Airbag und Sicherheitsgurt verschworen hatten und ihren Tod verursachten - sie saß in der Falle von Sicherheitsgerätschaften, die plötzlich in etwas Tödliches umgeschlagen waren.
Lottie starb in der Nacht, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Und so begann die Trauerzeit, von jenem Tag bis zum heutigen, achtzehn Monate später. Trauer um die verlorenen Jahre vor ihnen, die sie noch zusammen hätten erleben können, und um die vergangenen Jahre, die vergeudet worden waren.
Du bist, was du tust. Die abschließende Anklage, die sie gegen ihn vorbrachte.
Er schüttelte diese Gedanken ab und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart, kehrte dankbar wieder in die Limousine zurück. Draußen vor den getönten Scheiben zog die Landschaft gedämpft und surrealistisch an ihm vorbei. Und neben ihm saß Sarah Downes, hatte jetzt die Beine übereinander geschlagen und der eine Fuß in dem vernünftigen, praktischen Schuh mit niedrigem Absatz wippte hin und her, hin und her.
Körpersprache. Darin hatte es Trent für seine Verhöre zu einiger Beschlagenheit gebracht. Die kleinen Hinweise, die in den Bewegungen lagen, der Einsatz von Händen und Füßen, der Körper angespannt oder locker, vorgeneigt oder abgewandt, die Haltung des Kinns und das Zucken von Augenlidern, all diese verräterischen Anzeichen. Welche Hinweise vermittelte Sarah Downes jetzt? Der wippende Fuß, die verschränkten Arme, mit denen sie ihre Brust beschützte, das leichte Pulsieren in der Schlagader an ihrer Schläfe.
»Erzählen Sie mir vom Opfer«, sagte Trent. »Von dem Kind.«
»Alicia Bartlett. Sieben Jahre alt«, sagte sie seufzend. »Altklug. Aber ein nettes kleines Mädchen. Höflich und gut erzogen. Ausgezeichnete Schulnoten. Durch und durch weiblich. Liebte ihre American-Girl-Puppe Amanda. Hobby: Puzzles legen, und das in der Zeit der Computerspiele. Sie hat mit Jason Dorrant bei seinem letzten Besuch an einem Puzzle gearbeitet.«
Trent ließ vor seinem geistigen Auge das Bild von einem zwölfjährigen Jason Dorrant mit der siebenjährigen Alicia Bartlett entstehen, wie sie die Köpfe zusammensteckten und gemeinsam ein Puzzle legten. Auch das hier war ein Puzzle, in das er die Teile einfügen musste.
Sarah
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