Das Verhör
Downes' wippender Fuß hielt jetzt an.
Trent wartete.
Schließlich sagte sie: »Ich frag mich...« Dann geriet sie ins Stocken, setzte sich anders hin und verstummte.
»Und was fragen Sie sich, Miss Downes?« Sein Tonfall war leichthin, aber nicht spielerisch. Er rechnete mit einer Offenbarung.
»Zunächst mal können Sie Sarah zu mir sagen, weil wir ja Zusammenarbeiten werden.«
Trent ging ein bisschen auf Abstand. Seit Lotties Tod hatte er niemanden mehr in seine Privatsphäre eingelassen, hatte Vertraulichkeiten vermieden. Keine Begrüßungen mit dem Vornamen, keinerlei Nennung des Vornamens. Er wollte seine Arbeit allein durchführen, unbelastet reisen. Aber irgendwie wollte er diese junge Frau davon überzeugen, dass er mehr war als einfach nur ein Verhörspezialist. Kein Monster, das die menschlichen Bedingungen der Befragten und ihrer Opfer außer Acht ließ.
»Also gut, Sarah«, sagte er, gewährte ihr den Vornamen, hielt seinen jedoch zurück. »Was fragen Sie sich?«
»Wie Sie das aushalten. All diese Geständnisse. Ich hab mich oft gefragt, wie Priester damit umgehen, im Dunkeln zu sitzen und sich die Sünden anzuhören, all diesen Haufen Unrat, den Menschen sich gegenseitig antun.«
Den Haufen Unrat.
Ein Haufen Unrat, der in Gossen quillt,
Ein alter Kessel, Flaschen, Scherben, Kram,
Gerümpel, Knochen und die Schlampe wild
Am Kassentisch. Meine Leiter, sie verkam,
Nun muss ich da, woraus die Leitern stiegen,
Im Lumpensammlerstank des Herzens liegen.
Das alte Gedicht, das im Lauf der Jahre für ihn zu einer Art Glaubensbekenntnis geworden war.
Er sprach die Zeilen laut, aber fast so, als führte er Selbstgespräche. »Nun muss ich da, woraus die Leitern stiegen, im Lumpensammlerstank des Herzens liegen.«
»Yeats«, sagte sie.
Befriedigt darüber, dass sie das Gedicht kannte, sagte er: »Ich gebe zu, dass ich schlaflose Nächte habe. Oder dass ich aus Träumen hochschrecke, an die ich mich nicht erinnern kann, und nur noch weiß, dass Entsetzliches darin geschehen ist. Vermutlich alles Dinge, die ich mir in den Vernehmungen anhören musste. Aber man lernt, mit der Isolation zu leben. Und darin liegt gerade das Problem.« Wieso gestand er das dieser jungen Frau gegenüber ein, obwohl er es selbst Lottie gegenüber nie eingestanden hatte? »Das Schreckliche daran ist, dass der Priester die Absolution erteilen kann. Er kann den Sünder von der Sünde lossprechen. Und ihn mit reinem Herzen seiner Wege ziehen lassen. Ich kann nur zuhören und die Beichte in eine Anklageschrift umsetzen. Und meiner eigenen Wege ziehen...«
»Zum nächsten Fall, dem nächsten Verhör.«
Er nickte bestätigend.
»Und das genügt Ihnen?«
Du bist, was du tust.
Oder sollte ich noch mehr sein als das?
Die Limousine machte einen Schwenk zur Seite und fast wären Sarah Downes und er aufeinander geschleudert worden. Ihre Schultern berührten sich, der zarte Duft ihres Eau de Cologne wehte ihm entgegen, wie ein leichtes Lüftchen auf einer Lichtung im Wald, der Widerhall eines alten Liedes, das ihm in den Sinn kam.
»Verzeihung«, klang die Stimme des Fahrers aus dem Lautsprecher. »Ein Hund auf der Straße...«
Mit einem schwachen Lächeln im Gesicht rückte Sarah Downes von ihm ab.
»Ich glaube, ich habe Sie lange beneidet«, sagte sie. »Wollte auch so fachkundig sein, so tüchtig...« Ihre Stimme verebbte.
»Aber jetzt sind Sie sich da nicht mehr so sicher«, vermutete er.
Sie heftete den Blick auf ihn, sagte aber nichts.
Was sah er in diesen tiefgründigen grauen Augen? Vielleicht Mitleid? Oder Abscheu? Und was war schlimmer?
Während die Limousine ihren Weg nach Monument fortsetzte, überkam ihn eine unerklärliche Traurigkeit, zusammen mit dieser wohl bekannten Erschöpfung, die er wie einen alten Anzug trug.
Lieutenant Braxton begrüßte Trent am Hintereingang des Polizeipräsidiums. Als der Detective sich vorstellte, nahm Trent seine drahtige Intensität wahr. Groß und hager, nichts als scharfe Kanten, Backenknochen und Kinn. Die Schulterblätter ragten unter dem weißen Hemd mit den Schweißflecken spitz hervor.
»Ein Glück, dass Sie hier sind«, sagte Braxton in energischem Tonfall. Auch sein Händedruck war energisch. Und kurz. »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte er. »Sarah Downes hat ja schon alle Lücken aufgefüllt.« Das war keine Frage, sondern eine Aussage, die keiner Antwort bedurfte.
Sarah hatte sich nach einem knappen Kopfnicken zu beiden Männern hin leise
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