Das Verhör
war nur ein dunkler Schatten am Steuer hinter einer gläsernen Trennwand.
»Ich soll Ihnen von Braxton ausrichten, dass alles zur Durchführung des Szenariums bereit ist. Der Tatverdächtige wird zusammen mit vier anderen Jungen aus der näheren Umgebung zum Polizeipräsidium gebracht. Natürlich unter dem Vorwand, dass sie bei den Ermittlungen helfen sollen. Der Tatverdächtige wird für Sie von den anderen isoliert. All das ist zeitlich genau auf Ihr Eintreffen abgestimmt.«
In ihrer Stimme lag etwas, im Tonfall, in der Modulation, was er nicht sofort bestimmen konnte, aber es veranlasste ihn, ihr einen Blick zuzuwerfen. Kein Make-up außer einem Hauch pinkfarbenen Lippenstift, das graue Kostüm der Karrierefrau, weiße Bluse. Alles an ihr nüchtern und elegant. Dreißig Jahre alt, vielleicht ein, zwei Jahre mehr oder weniger. Attraktiv auf eine verhaltene, unaufdringliche Weise.
Neben ihr fühlte Trent sich alt. Dieses Frische und Flotte von ihr als Gegensatz zu seinem - was? Es war nicht nur das Alter, auch wenn er wohl zehn oder fünfzehn Jahre älter war. All die Geständnisse, all diese entsetzlichen Taten, die er sich angehört hatte, waren irgendwie zu einem Teil von ihm geworden. Das trennte sie mehr als die Jahre. Zwischen ihnen lagen ganze Welten.
»Informieren Sie mich über die Hintergründe«, sagte Trent.
»Sie haben das Fax gelesen. Braxton ist sehr gründlich.«
»Ich möchte es gern von Ihnen hören. Erzählen Sie mir von dem Tatverdächtigen.«
»Wie Sie wissen, heißt er Jason Dorrant. Er ist zwölf Jahre alt. Schüchtern, etwas introvertiert. Bisher keine Festnahmen. Aber er ist letztes Jahr in der Schulcafeteria über einen Mitschüler hergefallen. Offenbar ohne vorausgegangene Provokation. Er hat das Opfer gekannt, wohnt in derselben Straße und war einer der Letzten - wenn nicht sogar der Letzte überhaupt -, der das Mädchen lebend gesehen hat. Braxton ist überzeugt davon, dass er der Täter ist.«
Wieder dieser Tonfall in der Stimme, ein zweifelnder Anklang. Trent lag mit seinem Instinkt selten falsch - deshalb hatte er ja auch so viele Erfolge erzielt. Und er ließ sich auch jetzt von seinem Instinkt leiten, als er fragte: »Und Sie?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Ich?«
»Ja, sind Sie auch davon überzeugt, dass der Junge der Täter ist?«
»Was ich denke, spielt keine Rolle«, sagte sie.
»Doch«, gab Trent zurück. »Alles spielt eine Rolle. Bevor ich die Sache in Angriff nehme, muss ich alles wissen, was man nur wissen kann.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Na schön, ich gebe zu, dass ich meine Zweifel habe. Es gibt absolut keine Sachbeweise. Nichts, was den Jungen mit dem Tatort in Verbindung bringen würde. Und ich frage mich, ob Braxton vielleicht nur auf den Druck von außen reagiert. Die Stadt, der Senator. Und vorschnell handelt...«
»Gibt es noch andere Verdächtige?«
»Eigentlich nicht. Natürlich werden die Familienmitglieder vernommen, das wird ja immer so gemacht. Aber Vater, Mutter und Bruder können genau erklären, wo sie zur Tatzeit waren. Der Vater im Büro, die Mutter mit einer Freundin beim Shoppen. Der Bruder, ein Junge namens Brad, dreizehn Jahre alt, war den ganzen Nachmittag mit zwei Freunden zusammen. Keine weiteren Ermittlungsansätze. Bleibt nur noch Jason Dorrant.« Eine Haarsträhne hatte sich gelöst und fiel ihr in die Stirn. Sie strich sie zurück. »Mir ist bei dieser Situation unbehaglich. Bei diesem Jungen, Jason.«
»Sie vergessen etwas, Miss Downes.«
»Und zwar?«
»Das Verhör.«
Ihr Gesicht straffte sich, die Wangen bekamen einen angespannten Zug.
»Meinen Sie nicht, dass das Verhör die Wahrheit zutage fördern wird?«, fragte Trent.
Mit einem Seufzer wandte sie sich zu ihm um. »So sollte es sein.« Dann wieder dieses Schulternzucken. »Aber...«
»Aber was?«
Als hätte sie plötzlich eine Entscheidung getroffen, drehte sie sich um und sah ihn mit direktem Blick an. »Ihre Arbeit besteht darin, Geständnisse zu entlocken«, sagte sie. »Deshalb hat man Sie hinzugezogen. Und das macht mir zu schaffen.«
»Meinen Sie nicht, dass auch ich nach der Wahrheit suche?«, fragte er. »Dass sich aus dem Verhör die Wahrheit ergibt?«
»Nicht immer«, sagte sie. »Der Fall Blake und der Fall Abbott. Beide Geständnisse wurden widerrufen...«
»Aber die Gerichte hielten daran fest«, entgegnete er. »Was zu Protokoll genommen wurde, lässt sich nur schwer bestreiten. Das gesprochene Wort...«
Und jetzt wusste Trent, was ihn
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