Das verlassene Boot am Strand
Sohn des Häuptlings. »Was machen wir, wenn es nicht so ist, wie sie behaupten? Wenn die Sonne nicht scheint? Wenn das Meer weit weg ist oder es keine Fische gibt?«
»Dann kehren wir wieder heim«, antwortete der Häuptling. »Wenn es uns nicht gefällt, kehren wir hierher zurück.«
Um uns zu überreden, mit ihnen zu ziehen, sagte der eine Pater noch: »Die Kirche und die Indianer müssen sich zusammentun. Wir müssen uns in den Missionen sammeln. Wie ihr wißt, gibt es sehr viele Missionen zwischen San Diego im Süden und San Francisco im Norden. Sie liegen alle nur einen Tagesritt voneinander entfernt und können im Notfall als Befestigungsanlagen dienen.«
Der zweite Pater fuhr fort: »Zuerst hat die mexikanische
Regierung unseren Missionen Tausende von Hektar Land weggenommen. Dann kam der Krieg zwischen Mexiko und den Gringos. Die Gringos haben gewonnen und uns noch mehr Land weggenommen. Und euch haben sie alles genommen.«
»Wir müssen zusammenhalten gegen die Gringos und gegen die habgierigen Mexikaner und Spanier«, fügte der erste Pater hinzu. »Sonst bleibt kein einziger Morgen Land für euch oder für uns. Die Gringos werden sich alles mit Gewalt nehmen. Oder die reichen Mexikaner und Spanier. Ihr werdet nichts mehr haben, noch weniger als jetzt.«
Die beiden Männer sprachen noch einen ganzen Tag lang mit unserem Häuptling, und am dritten Tag waren sieben von uns bereit, mit ihnen zu gehen. Wir nahmen alles mit, was wir besaßen, manche sogar ihre Hunde, obwohl die Patres sagten, wir sollten die Tiere lieber in unserem Dorf lassen.
Mando kam mit, weil er das Meer und den Fischfang liebte. Meine Freundinnen Rosa und Anita gingen mit, weil sie fanden, daß das alles sehr abenteuerlich klang, und weil sie glaubten, daß es in Santa Barbara sicher viele junge Männer gab. Jeder hatte einen anderen Grund dafür, den Patres zu folgen, und alle unterschieden sich von meinem.
Die Mission Santa Barbara lag in der Nähe der Insel der blauen Delphine. Mane Mutter war gestorben, als Mando und ich noch sehr klein waren, und als ich größer wurde, erzählten mir die Leute meines Stammes von meiner Tante Karana. Sie lebte schon seit vielen Jahren ganz allein auf der Insel der blauen Delphine. Das war mein Grund, warum ich den Patres folgte. Ich wußte, daß in der Nähe der Mission Indianer lebten. Vielleicht fand ich also in Santa Barbara jemand, der mir half, auf die Insel zu gelangen und Karana zu holen. Es war ein abenteuerlicher Wunsch, aber es war für mich der Anlaß, mein Dorf Pala zu verlassen und nach Santa Barbara zu gehen.
Ich hatte meine Tante Karana nie gesehen. Ich war noch sehr klein, als meine Mutter starb, und deshalb habe ich fast alles vergessen, was sie von ihrer Schwester erzählt hatte. Aber aus den Berichten meines Stammes wußte ich, was geschehen war. Eines Tages kam ein Schiff, um unseren kleinen Stamm von der Insel aufs Festland zu bringen, wo er vor den Alëutern sicher war, die aus dem fernen Norden gekommen waren und uns überfallen hatten. In all dem Durcheinander der überstürzten Flucht fehlte plötzlich Karanas kleiner Bruder. Karana sprang vom Schiff und schwamm zur Insel zurück, um ihn zu suchen. Der Kapitän des Schiffes konnte nicht warten. Ein Sturm zog auf. Karana blieb allein auf der Insel der blauen Delphine zurück.
Ich dachte oft daran, daß Karana sich nach ihrem Stamm sehnen mußte, und doch fragte ich mich auch, ob sie wohl hier in der Mission leben wollte. Ich fragte mich das, weil es Tage gab, an denen es mir hier gefiel, und andere Tage, an denen ich mich nach unserem Dorf in den Bergen sehnte, weit weg vom Meer, weit weg von diesen Männern, die Sandalen und lange Gewänder trugen, und von Señora Gallegos, die uns sagte, was wir zu tun und zu lassen hatten.
Aber die Berichte meines Stammes haben mich in meinem Entschluß bestärkt, eines Tages Karana zu suchen. Es war ein geheimes Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte. Karana war neben Mando meine einzige Blutsverwandte.
Ich dachte an Kapitän Nidever, der schon einmal auf der Insel der blauen Delphine gewesen war und der Karanas Spuren im Sand entdeckt und gesehen hatte, wie sie über die Klippen floh. Vielleicht erzählte er mir mehr von dieser Insel und konnte mir einen nützlichen Rat geben.
4
Am nächsten Tag lieh ich mir Pater Vinzenz' Esel und ritt zu Kapitän Nidever. Er wohnte in einer Hütte aus luftgetrockneten Ziegeln auf einer Klippe südlich der Mission. Von seinem
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